Direkt zum Inhalt

Unsere irdischen Mitbewohner

Der Biologe Norbert Sachser erklärt, warum uns Tiere im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind.

Die »Krone der Schöpfung« hat endgültig ausgedient. Der postulierte Gegensatz zwischen dem vernunftgesteuerten Homo sapiens einerseits und dem instinktgesteuerten Tier andererseits sei schon lange nicht mehr haltbar, schreibt der Zoologe Norbert Sachser in diesem Buch. Fernab jeder Esoterik und Romantisierung skizziert er hier Erkenntnisse aus der Forschung, die in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einer »Revolution im Tierbild« geführt hätten, wie er schreibt. Sachser leitet das Institut für Verhaltensbiologie an der Universität Münster.

In sechs kurzweiligen Kapiteln fokussiert der Autor auf zentrale Forschungsaspekte und schlüsselt auf, was wir über das Verhalten unserer nächsten Verwandten wissen – oder zumindest wissen sollten. Wie hängen Stress und Sozialgefüge in Gruppen zusammen? Welche Emotionen sind von Tieren bekannt? Welchen Einfluss haben Gene und Umwelt darauf? Welche Bedeutung hat das Lernen? Und wie entwickeln sich Tiere zu Individuen mit eigener Persönlichkeit? Antworten darauf liefern vor allem Untersuchungen an Säugetieren. Meerschweinchen sind, als Sachsers bevorzugtes Studienobjekt, in dem Buch besonders prominent vertreten.

Keine Bio-Automaten

Puzzlestück um Puzzlestück fügt der Autor ein neues Tierbild zusammen, das von außerordentlich komplexem und flexiblem Verhalten geprägt ist. Auf dem Weg dahin räumt er das eine oder andere verstaubte Dogma aus dem Weg. So wurden Tiere lange Zeit gewissermaßen als Bio-Automaten angesehen: Ein spezifischer Reiz zog demnach unweigerlich ein bestimmtes Verhalten nach sich, das nach ewig gleich bleibendem Muster ablief. Diese Vorstellung ging Hand in Hand mit der Überzeugung, Tiere könnten nicht denken und über ihre Emotionen ließe sich keine Aussage treffen.

»Heute hält dieselbe Wissenschaft beide Aussagen für falsch und vertritt das genaue Gegenteil«, schreibt Sachser über die Kehrtwende seiner Disziplin. Immerhin hat sie sich damit als lernfähig erwiesen. Inzwischen weiß man: Manche Tiere zeigen nicht nur grundlegende Emotionen wie Furcht und Freude, sondern können auch planen, einsichtig handeln und sich selbst im Spiegel erkennen. Sie sind lernfähig, und ihr Verhalten wird bis ins Erwachsenenalter durch Umwelt, Sozialisation und andere Faktoren beeinflusst.

Auch die vorgeburtliche Phase prägt, wie Sachser in einer Meerschweinchen-Studie belegt hat. Standen trächtige Tiere unter sozialem Stress, brachten sie maskulinisierte Töchter auf die Welt, die etwa den Balztanz der Männchen zeigten – den so genannten Rumba. Das Verhalten der Söhne dagegen war infantilisiert. Was bis vor Kurzem noch als Abweichung interpretiert worden wäre, sehen Biologen nun eher als erfolgreiche Anpassung. Denn weniger scheue Jungweibchen können sich unter Stressbedingungen besser durchsetzen, während kindlich wirkende Männchen gefährliche Auseinandersetzungen mit ranghöheren Artgenossen vermeiden.

Tiere werden sowohl durch Erbanlagen als auch durch die Umwelt in ihrem Verhalten geprägt, was sie uns Menschen ähnlich macht. Von der Forschung ist nun gefordert, die Grenzen genauer auszuloten. Wer wissen möchte, wie weit die Wissenschaft dabei schon gekommen ist, ist mit »Der Mensch im Tier« bestens bedient. Die Kapitel lassen sich unabhängig voneinander lesen und bieten besonders eiligen Lesern jeweils ein kompaktes Fazit am Ende. Einen triftigen Grund zum Schnelllesen bietet das Werk allerdings nicht, da die Lektüre sowohl informativ als auch vergnüglich ist.

Kennen Sie schon …

Gehirn&Geist – Faszination Gehirn: 38 Infografiken über unser Denken, Fühlen und Handeln

Weil Sprache allein nicht immer das beste Kommunikationsmittel ist, werden seit 2013 ausgewählte Inhalte auf eine andere Art präsentiert: in Infografiken. Denn manches lässt sich in Bildern so viel einfacher darstellen als mit Worten. In dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist« präsentieren wir ein »Best-of« unserer Infografiken zu Psychologie, Hirnforschung und Medizin. Wie funktioniert unser Orientierungssinn? Was haben Darmbakterien mit der Psyche zu tun? Was macht eine angenehme Unterhaltung aus? Wie wirkt Alkohol im Gehirn? Und warum lassen wir uns im Supermarkt so leicht zu Spontankäufen animieren? Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden Sie in dieser Spezialausgabe von »Gehirn&Geist«. Jede der 38 Grafiken im Heft widmet sich einem eigenen Thema.

Spektrum - Die Woche – Neue Reben für den Weinbau

Von Klimawandel und Krankheiten bedroht, muss der Weinbau an die neuen Bedingungen angepasst werden. Die Genschere soll den Wein der Zukunft retten. Außerdem beobachtet »Die Woche«, wie Künstlerinnen und Künstler die Welt wahrnehmen und wie sich soziale Unsicherheiten durch Social Media verstärken.

Spektrum - Die Woche – Putzig, aber unerwünscht

Waschbären haben sich in Europa rasant verbreitet – die einen finden sie niedlich, andere sind nur noch genervt, weil die Tiere den Müll plündern oder in den Dachboden einziehen. Dazu kommen Risiken für Gesundheit und Natur. Wie stark schaden sie der heimischen Tierwelt und uns Menschen?

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.