»Der Schutz unserer Meere«: Mehr Meer geht kaum
Die Wirtschaft der Menschen sei ein offenes System, schreibt Detlef Czybulka, in dem permanent natürliche Stoffe in Abfall umgewandelt werden. Ein erheblicher Anteil davon landet im Meer. Die Natur dagegen selbst kenne keinen Abfall, alles würde hier wieder in Naturstoffe verwandelt. So wie es mit Plastik im Meer gerade nicht geschieht, es sammelt sich vielmehr in der Tiefsee oder in sogenannten Müllstrudeln an – einige von ihnen so groß wie ganz Mitteleuropa. Fast 80 Prozent des Plastikmülls im Meer stammten inzwischen vom Land. Doch Kunststoffe seien nicht das einzige Problem. Die Ostsee habe – wie fast alle Meere Europas – inzwischen ein »massives Kontaminationsproblem«, erläutert Czybulka unter Verweis auf entsprechende Studien. Es gebe hier Düngemittel, Eutrophierung, Radionuklide, Ölverschmutzungen, DDT, Cadmium oder Quecksilber, um nur einige Kontaminationen zu nennen. Und das sind beileibe nicht alle Bedrohungen. Überfischung, Rohstoffhunger und auch die Energiewende gingen in vielfältiger Weise zu Lasten des Lebens im Meer, so der Autor.
Dabei gebe es doch so viele Gesetze, Übereinkommen oder Absichtserklärungen zum Schutz der Meere! Da ist das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), die Helsinki-Konvention und das OSPAR-Übereinkommen, das Störungsverbot des Bundesnaturschutzgesetzes oder das MARPOL (Internationales Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe). Doch allzu oft seien dies keine verbindlichen Gesetze, urteilt Czybulka. Die Schutzziele würden verfehlt oder verschoben, und er führt Fälle an, in denen Absichtserklärungen seiner Einschätzung nach bisher überhaupt nichts gebracht haben.
Streifzüge durch das ganze Meer
Der Autor ist Jurist und war bis 2011 Lehrstuhlinhaber für Staats- und Verwaltungsrecht, Umweltrecht und Öffentliches Wirtschaftsrecht in Rostock. In »Der Schutz unserer Meere« bildet das Meeresumweltrecht zwar einen Schwerpunkt, die Themen des Buches weisen aber oft über den juristischen Horizont hinaus. Czybulka vermittelt viel historisches und aktuelles Wissen rund um das Meer. Einen großen Teil nimmt das ein, was der Autor selbst eine »Bestandsaufnahme« nennt. Czybulka schildert darin die Schutzgüter, die Meereslebewesen und -strömungen, die historische Entwicklung des Schiffswesens und des Welthandels, die Bedrohungen durch den Abbau von Rohstoffen wie den Manganknollen, die Überfischung, das Zeitalter der Kolonialisierung und des Sklavenhandels.
Das Buch beeindruckt so allein schon durch seine Vielfalt. Czybulka beweist sein fachliches Detailwissen auch bei naturwissenschaftlichen und historischen Inhalten. Entsprechend breit gefächert sind auch die Themen, denen er sich widmet. Welche sind die Schutzgüter im Meer? Was steht schon auf den Roten Listen? Welche Rolle spielen ethische Aspekte? Welche wirtschaftlichen Interessen gibt es? All diese Fragen beantwortet er ebenso fundiert wie unterhaltsam. Dabei findet er immer auch Raum für überraschende Feinheiten – etwa die besondere Fortpflanzung des Wattwurms oder die Mythen der Maori, denen zufolge sie Neuseeland auf dem Rücken eines Wals erreicht und dann besiedelt haben.
Manchmal fällt es nicht ganz leicht, die Fülle der Informationen zu verarbeiten. Aber Czybulka schreibt immer unterhaltsam und spannend; tolle Farbfotos, übersichtliche Grafiken und Karten lockern die über 400 eng bedruckten Seiten auf. Czybulka scheint das Wissen seines ganzen Forscherlebens in diesem Buch zu präsentieren. Die Passagen, in denen er sehr tief ins Dickicht von Paragrafen, Richtlinien oder Gesetzen absteigt und dabei Bandwurmsätze produziert, sind zum Glück eher die Ausnahme. Auch wenn im Umweltschutz engagierte Juristinnen und Juristen solche Passagen goutieren und sie eine Fundgrube für journalistische Recherchen darstellen: Leser mit weniger speziellen Interessen werden sie vermutlich überspringen. Insgesamt bietet das Buch so viel Wissen, Daten und Quellen, dass alle am Meer Interessierten hier eine Menge Lesenswertes finden dürften.
Czybulka kämpft mit enorm viel Energie für das Meer. Zugleich weiß er aber auch: »Wenn die Biosphäre nicht völlig vergiftet und verstrahlt wird, wird sich das Leben in den Meeren anpassen, weitergehen und ohne Menschen fortentwickeln«.
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