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»Diagnose Digital-Desaster«: Patient Deutschland

Warum tut sich das deutsche Gesundheitssystem so schwer mit der Digitalisierung? Ein Einblick in die komplexen Strukturen und Probleme.
Empfang in einer Klinik

Elektronische Patientenakte, elektronische Gesundheitskarte, E-Rezept – das Gesundheitssystem soll schon seit Jahren digitalisiert werden.

Peter Schaar unterzieht dieses Vorhaben auf 198 Seiten einer Analyse. Wie man schon dem Titel »Diagnose Digital-Desaster« entnehmen kann, fällt das Urteil verheerend aus. Allein die angeführten Zahlen zur digitalen Basisinfrastruktur, also der Anbindung von Krankenhäusern, sind schockierend: 70 Kliniken hatten 2021 noch kein schnelles Internet. So wundert es auch nicht, dass Deutschland im von der Europäischen Union erstellten Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (EU-Digitalindex) auf Platz 11 der 27 Mitgliedstaaten zu finden ist.

In sieben Oberkapitel fasst der Autor die verschiedenen Bereiche zusammen – von einer Bestandsaufnahme über die Auswirkungen von Corona, den Datenschutz und die Telematikinfrastruktur bis hin zu den europaweiten Bestrebungen zur Vereinheitlichung.

Interessant ist es, vom langjährigen Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar zu erfahren, dass der gerne als Totschlagargument gegen die Digitalisierung von Gesundheitsdaten angeführte Datenschutz oft gar nicht wirklich ein Problem darstelle. Die erforderlichen Rechtsgrundlagen zur Sammlung von sensiblen Daten sind durchaus vorhanden. Streitfragen sind vielmehr die Art der Speicherung der Daten und der Zugriff. Hier ist der Gesetzgeber in der Pflicht, Rechtsgrundlagen zu schaffen, die die Selbstbestimmung der Patienten so wenig wie möglich beeinträchtigen. Als Beispiel für die Sammlung und Verarbeitung von gesundheitsbezogenen Daten führt Schaar die Nutzung von Fitnesstrackern und Gesundheitsapps ins Feld. Bei diesen haben die Nutzer keinerlei Einfluss darauf, an wen die Hersteller oder sonstige Dritte die Daten weitergeben. Schon der Kauf oder Download solcher gesundheitsbezogenen Apps lässt bereits Rückschlüsse auf das Verhalten beziehungsweise die Gesundheit des Nutzers zu.

Natürlich muss bei der staatlichen Verarbeitung und Sammlung von Gesundheitsdaten das Gleichgewicht zwischen den Rechten eines besonders schutzbedürftigen Patienten und dem Nutzen gefunden werden. Allerdings scheint der Datenschutz in vielen Fällen nur ein vorgeschobenes Argument zu sein – das brachte auch der aktuelle Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber in Bezug auf die Umsetzung von Corona-Maßnahmen auf den Punkt: »Keine einzige Maßnahme der Bundesregierung zur Pandemiebekämpfung ist am Datenschutz gescheitert.«

Vielmehr sind es die zerstreuten Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen bei der Digitalisierung, die in Deutschland das Hauptproblem darstellen. So gibt es beispielsweise keine flächendeckenden verknüpften Datenbanken mit Gesundheitsdaten. Dazu kommen komplizierte Strukturen bei den Hauptakteuren, wie die Beteiligung des Gesundheitsministeriums an der gematik GmbH (Gesellschaft für die Telematik im Gesundheitswesen). Die Aufbereitung dieser Thematiken bringt auch Schaar an die Grenzen dessen, was für die Leser nachvollziehbar ist. Es verdeutlicht allerdings die Komplexität des Systems und die Tatsache, dass es keine erkennbare Gesamtstrategie gibt.

Unerlässlich für den Leser ist in diesem Zusammenhang das Abkürzungsverzeichnis am Ende des Buches, denn ansonsten würde man stellenweise den Faden im Abkürzungsdschungel von beispielsweise PKI (Public-Key-Infrastruktur), TSP (Trust Service Provider) und ePA (elektronische Patientenakte) verlieren.

Ein weiteres Problem, das Schaar beschreibt, ist die Akzeptanz bei den Hauptakteuren, also bei den Ärzten und Ärztinnen sowie bei den Patienten selbst. Dies ist vor allem der Art der Umsetzung der Digitalisierung geschuldet. In der Vergangenheit wurden hauptsächlich Standesvertreter involviert und nicht die Akteure selbst. Auch die Durchsetzung von Vorgaben von »oben« nach dem »Wasserfall-Modell«, wie Schaar es bezeichnet, ausgebreitet nach »unten« und die Präsentation von unreifen Verfahren, die mit mehr Aufwand als Nutzen verbunden sind und waren, ließen die Akzeptanz sinken.

Im Allgemeinen werden in dem Buch hauptsächlich die Probleme der Digitalisierung des Gesundheitswesens beschrieben und weniger die Lösung.

Erst im letzten Kapitel, wo es um die Handhabung der Thematik in anderen europäischen Ländern geht, bekommt der Leser eine Idee davon, wie es auch in Deutschland funktionieren könnte. Allerdings stellt Schaar auch hier fest, dass die Systeme der einzelnen Staaten nicht miteinander kompatibel sind. Die für 2025 angestrebte Verordnung zur Schaffung eines »Europäischen Gesundheitsdatenraums« (European Health Data Space – EHDS) der Europäischen Kommission bleibt also ein ambitioniertes Ziel.

Das Buch ist keine leichte Lektüre, gibt aber einen guten Einblick in die zahlreichen komplexen Probleme der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Am Ende bleibt der Autor die Antwort auf die Titelfrage des Buches »Ist das Gesundheitswesen noch zu retten?« allerdings schuldig.

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