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Buchkritik zu »Eleganter Unsinn«

Vor einigen Jahren erschien ein Sonderheft der unter Kulturwissenschaftlern angesehenen amerikanischen Fachzeitschrift "Social Text" zum Themenschwerpunkt "Science Wars". Dieser "Wissenschaftskrieg" hatte sich an der Behauptung vieler Soziologen und Geisteswissenschaftler entzündet, die Naturwissenschaften seien nur ein soziales Konstrukt, das sich fälschlich anmaße, wahre Aussagen über die Natur machen zu können. Gegen diese radikale Wissenschaftsskepsis – versehen mit Etiketten wie Konstruktivismus, epistemischer Relativismus oder Postmoderne – liefen verständlicherweise diejenigen Naturwissenschaftler Sturm, die davon Notiz nahmen. Zu den dieser Kontroverse gewidmeten Artikeln in "Social Text" zählte auch ein mit Fußnoten gepflasterter Aufsatz des New Yorker Physikers Alan Sokal unter dem bombastischen Titel: "Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation". Dieser Text schien mit der Autorität eines Naturwissenschaftlers und unter ausgiebiger Zitierung postmoderner Denker den Standpunkt der konstruktivistischen Wissenschaftssoziologen aufs Schönste zu untermauern: Ja, die Naturwissenschaft entdecke nicht Gesetze, sondern erfinde sie; physikalische Theorien seien bloß die Ausgeburt historisch gewachsener Denktraditionen, gesellschaftlicher Herrschaftsinteressen, patriarchalischer Männerphantasien. Kurz nach Erscheinen des Artikels enttarnte Sokal ihn als Scherz: Er habe aus postmodernen Zitaten einen parodistischen Text montiert, dessen Unsinnigkeit eigentlich jedem, also auch den Herausgebern von "Social Text", hätte auffallen müssen (Spektrum der Wissenschaft 9/1997, S. 110). Die Leser reagierten je nach Standpunkt mit amüsierter Zustimmung oder Empörung. Zur Vertiefung der Debatte schrieb Sokal zusammen mit dem belgischen Physiker Jean Bricmont das nun auch auf Deutsch vorliegende Buch. Darin gehen die Autoren breiter auf die "postmoderne" Art des Umgangs mit den Naturwissenschaften ein. Sie zeigen an vielen Beispielen, dass oft ein Gemisch aus Unkenntnis und Großsprecherei aus der Feder fließt. Gern spielen postmoderne Denker wie Jean Baudrillard (für den das meiste "Simulation" ist) oder Paul Virilio (Erfinder der "Dromologie", die hinter allem die "Beschleunigung" entdeckt) mit naturwissenschaftlichen Begriffen wie Komplexität, Nichtlinearität, Selbstorganisation oder Chaos, um sie für vage Analogien bis zum Zerreißen zu dehnen. Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz, das Heisenbergsche Unbestimmtheitsprinzip, die Einsteinsche Relativitätstheorie bieten sich auf Grund des Wortklangs für Assoziationen mit postmodernen Behauptungen an: Sagt nicht sogar die Wissenschaft selbst, unser Wissen sei "unvollständig", jede Aussage "unbestimmt", die Grenze zwischen Wahrheit und Irrtum "relativ"? Sokal und Bricmont geben sich große Mühe, Sinn und Unsinn solch essayistischer Bemerkungen säuberlich zu scheiden. Sie bestreiten natürlich nicht, dass die wissenschaftliche Tätigkeit ein sozialer und historischer Prozess mit stets vorläufigem Ergebnis ist. Daraus folgt aber keineswegs der "postmoderne" Irrtum, die Resultate dieses Prozesses – ob physikalische Theorien oder mathematische Sätze – seien nichts weiter als Gebilde aus sozialen Gruppeninteressen und historisch entstandenen Meinungen. Bei aller erkennbaren Mühe, die Sokal und Bricmont für die Analyse der oft absichtlich dunklen postmodernen Äußerungen aufwenden, ist beste Unterhaltung garantiert. Unter den Zitaten finden sich Perlen karnevalesken Unsinns. Etwa wenn der Psychoanalytiker Jacques Lacan die Wurzel aus –1 allen Ernstes mit dem "erektionsfähigen Organ" gleichsetzt oder wenn Sokal und Bricmont – die sich stets eines stoischen Understatements befleißigen – ein langes Baudrillard-Zitat mit der kühlen Bemerkung unterbrechen: "Der Text fährt in einem allmählichen Crescendo von Unsinn fort." Dieses Versprechen wird dann im Folgenden reichlich eingelöst, etwa wenn Baudrillard verkündigt: "Selbst wenn es sich um das Jüngste Gericht handelt, werden wir unsere Bestimmung nicht erreichen. Wir sind heute von unserer Bestimmung durch einen Hyperraum mit variabler Brechung abgeschnitten. Man könnte die Rückwendung der Geschichte durchaus als eine Turbulenz dieser Art interpretieren, die sich aus einer Beschleunigung von Ereignissen ergibt, welche ihren Lauf umkehrt und ihre Bahn auslöscht. Das ist eine Version der Chaostheorie, die Version der exponentiellen Instabilität und ihrer unkontrollierbaren Wirkungen. Sie berücksichtigt besonders das ‚Ende‘ der Geschichte, die in ihrer linearen und dialektischen Bewegung durch jene katastrophische Singularität unterbrochen wird…" Und so immer weiter.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 08/2000

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