Treibstoff des Lebens
Immerhin ist dieser Band erfrischend persönlich. Der Autor schreibt in der Ichform und präsentiert eine auf eigener, hautnaher Erfahrung basierende These – nämlich, dass wir negative Gefühle wie Trauer, Angst oder Wut heute viel zu schnell pathologisieren. Der dies sagt, muss es wissen, denn Christian Peter Dogs ist ein erfahrener Psychiater und Psychosomatiker. Seine Koautorin, die Journalistin Nina Poelchau, tritt in dem Buch dagegen nicht in Erscheinung.
Der erfolgreiche Arzt und Klinikleiter Dogs schildert mit großer Offenheit, wie er als Kind "psychisch gefoltert" wurde. Sein gewalttätiger, narzisstischer Vater, der seine alkoholkranke Frau und die drei Söhne mit Spott und Schlägen drangsalierte, drohte Dogs' eigenes Leben früh zu zerstören. Trotz dieser Bürde brachte es der Spross jedoch weit. Leider erklärt er in seinem Buch nicht, was genau ihm dieses unwahrscheinliche Glück bescherte.
Dem Elternhaus entronnen
Nachdem er, wie er schreibt, "alle Voraussetzungen, um auf die schiefe Bahn zu geraten" erworben hatte, sei er mit 15 Jahren auf ein Eliteinternat gekommen, wo ihm Zuwendung und Unterstützung zuteilwurden. Dogs' Fazit: "Wenn man geeignete Bezugsfiguren findet und willensstark ist, kann man sein Leben trotz schwerer, traumatisierender Ereignisse erfolgreich gestalten." Doch warum er dieses Vertrauensangebot überhaupt annehmen und die nötige Willenskraft aufbringen konnte, wo andere Leidensgenossen vor lauter Bindungsängsten und Selbstzweifeln im Leben niemals Fuß fassen, das bleibt im Dunkeln. Dogs räumt zwar eine eigene lebenslange "Verletzlichkeit" ein, aber das allein sagt wenig. Hier ist wohl einer der Psychohölle seiner Familie entronnen und hilft nun anderen dabei, das Gleiche zu schaffen.
Womit wir beim Hauptmanko des Buchs wären: seiner Undifferenziertheit. In einem Abschnitt mit dem unsinnigen Titel "Die meisten Gehirne sind negativ verschaltet" erläutert der Autor beispielsweise, dass unsere genussfeindliche, von Konkurrenz- und Leistungsdruck dominierte Gesellschaft von Übel sei. Wer hier zu Lande groß werde, könne kaum anders, als an der Seele zu leiden. Man hat das Gefühl, es sei vom Deutschland der 1950er oder 1960er Jahre die Rede, doch es geht um das Hier und Heute. Was man etwa dann bemerkt, wenn elektronische Medien pauschal als Gift für die kindliche Psyche gebrandmarkt werden.
Pauschal und unklar
Dogs' Aussagen sind vielfach klischeehaft und platt, ja schlichtweg falsch. So führe alles, was wir nur passiv aufnehmen, zur "Verblödung". Tatsache? Das Gehirn sei das einzige Organ, das durch Gebrauch immer besser werde. Muskeln nicht? Ungeborene Kinder mit Mozartsonaten zu beschallen, sensibilisiere ihre "Antennen". Diese Studie wurde längst als gefälscht entlarvt! Und über die Arbeitsweise der Hirnzellen heißt es, sie "brauchen alle die gleiche Konzentration von Neurotransmittern an ihren Schaltflächen, damit die Information klar und deutlich im Zentrum ankommt". Alle die gleiche? Und welches Zentrum überhaupt?
Breiten Raum nimmt im Buch Dogs' Kritik am Psychotherapiebetrieb ein. Viele Therapeuten würden zu intransparent arbeiten, viele Klienten seien nicht wirklich krank, und die Wartezeit, bis man einen Behandlungsplatz bekomme, sei mit rund drei Monaten zu lang. Mag sein, aber was empfiehlt Dogs dagegen? Patienten sollten schlechte Gefühle zulassen und Psychologen "sie auch mal zum Lachen bringen und ihnen die richtigen Anstöße geben". Wow!
Im weiteren Verlauf des Buchs skizziert der Fachmann ausgewählte Störungsbilder, darunter Ängste, Depressionen, Ess- und Schlafstörungen sowie den Narzissmus, und gibt Tipps, wie man seine Psyche im Lot hält. Sie ahnen es: Mehr gute Beziehungen pflegen, weniger Stress haben, lautet die Devise. Einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt das abschließende 20-seitige Lob auf die eigene Tätigkeit als Klinikchef und das hier verfolgte Therapiekonzept – von dem man allerdings auch nicht mehr erfährt, als dass es effizient, integrativ, kostengünstig und "nah an den Bedürfnissen der Menschen" sei. Unter dem Strich ist dieses Buch einer der unerfreulicheren Bestseller des Jahres 2017.
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