Schicksal besiegelt?
Kurt Kotrschal ist überzeugt davon, dass Menschen ihr Leben lang darum bemüht sind, ihre evolutionär bedingten Prägungen unter Kontrolle zu bringen. Deshalb hält er es für sinnvoll, diese Anlagen und Antriebe genauer kennen zu lernen. In seinem neuen Buch »Mensch« möchte er seinen Leser(inne)n dies auf dem aktuellen Stand der evolutionsbiologischen Forschung ermöglichen. Kotrschal ist Professor für Verhaltensbiologie an der Universität Wien, Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle und Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums im österreichischen Ernstbrunn. Er hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, in denen er sich vor allem mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier, insbesondere zwischen Mensch und Hund befasst.
Menschen, betont Kotrschal, gehören zu den Primaten und ihre nächsten Verwandten sind die anderen Menschenaffen. Zentrale Schlüsselinnovationen, die den Menschen hervorbrachten, seien die Sprachentwicklung und die Fähigkeit zum symbolischen Denken gewesen. Unsere Vorfahren überlebten, indem sie hochkomplexe Sozialsysteme entwickelten, in denen Kooperation erforderlich wurde. Dies brachte die Sprachfähigkeit und ein großes Stirnhirn zur Impulskontrolle hervor; Letzteres lieferte quasi als Nebenprodukt die für den Menschen typische Bewusstseins- und Reflexionsfähigkeit. Unser hochspezialisiertes Gehirn scheint aber auch Nachteile zu haben. So meint der Autor, das menschliche Gehirn sei heute nicht mehr flexibel genug, um sich an eine naturferne Umwelt weitgehend ohne Pflanzen und Tiere anzupassen, wie sie in den Städten anzutreffen ist. Kotrschal sieht viele Bürger vom »Nature-Deficit-Syndrome« bedroht, das mit diversen mentalen Erkrankungen einhergehe.
Erbe der Evolution
Häufig benutzt der Autor den Begriff »menschliche Universalien«. Darunter versteht er Merkmale, die bei diversen Ethnien unabhängig von der Kultur vorhanden und damit anscheinend ein evolutionäres Erbe sind. Es sind allerdings mitnichten Alleinstellungsmerkmale des Menschen, denn viele von ihnen treten auch bei Tieren auf, etwa der Vermehrungsdrang und die Vaterschaftssicherung. Auch weisen Universalien eine gewisse individuelle und kulturelle Variationsbreite auf. Kotrschal nennt Beispiele wie den Ausdruck von Emotionen, das Kommunikationsverhalten, das Vermenschlichen, die Liebe zu Natur und Tieren oder das Bedürfnis nach Transzendenz. Streben nach Macht, Abgrenzung von anderen und Gier nach Reichtum sind dem Autor zufolge die »Basis-Universalien«, die angepasst an den sozioökonomischen und ökologischen Kontext die soziale Organisationsform von Gesellschaften bestimmen.
Der Autor widmet sich auch politischen Themen wie dem Fremdenhass. Er sieht durchaus eine genetische Veranlagung zu »vorsichtigem Interesse an Unbekanntem«, das er aber keineswegs keinesfalls als genetisch terminierte Angst vor Fremden fehlinterpretiert wissen will, um nicht ein wissenschaftlich fundiertes Argument für die Rechtfertigung von Rassismus und Rechtsextremismus zu liefern. Ganz im Gegenteil weist er darauf hin, dass sich das vorsichtige Interesse häufig in freundliche Gastfreundschaft wandelt. Seiner Meinung nach können nur starke Demokratien für Toleranz gegenüber Fremden sorgen. Bildung und kluge Politik sind für ihn die Mittel, solchen Herausforderungen zu begegnen. Auch die ökologischen und ökonomischen Probleme der Menschheit seien nur mit diesen beiden zu bewältigen.
Kotrschal fühlt sich als Wissenschaftler der Realität verpflichtet. Eine realistische Sicht auf unser evolutionäres Erbe sei wichtig, damit wir uns von altsteinzeitlichen Verhaltensantrieben freimachen könnten. Da der Mensch immer wieder den Eigennutz über das Gemeinwohl stelle und Kurzzeitvorteile über Langzeitstrategien, könne er kaum zum Wohl aller auf eigene Vorteile wie Wohlstand und Mobilität verzichten. Die Hoffnung, mit neuen Techniken die gegenwärtigen ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, hält der Autor für einen »Kopf-in-den-Sand-Optimismus«. Daraus leitet er die Überzeugung ab, unsere Art werde über kurz oder lang aussterben. Im Gegensatz zur menschlichen Universalie, dem Leben einen Sinn zuzuschreiben, verfolge die Evolution kein bestimmtes Ziel. Durch Anpassung an neue Lebensumstände und Anforderungen entstünden neue Arten, der Verlust einer Spezies werde langfristig durch andere ersetzt. So zeichnet Kotrschal auf die Frage, wie es für uns weitergehen kann, ein eher düsteres Bild.
Insgesamt ist das Buch gut zu lesen, allerdings reißt der Autor bereits in der Einführung viele fachspezifische Themen an. Ein kurzer Hinweis auf das sehr gute und ausführliche Glossar am Ende des Buchs wäre an dieser Stelle sinnvoll gewesen. Wer sich aus evolutionsbiologischer Sicht für den Menschen und seine irdischen Mitbewohner interessiert, wird mit diesem Buch auf seine Kosten kommen. Doch selbst ausgesprochen optimistische Leser dürften nach der Lektüre einige Zeit benötigen, um ihren positiven Blick auf die Zukunft wieder zurückzugewinnen.
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