Zu schön, um wahr zu sein
Vieles im Leben könnte so schön sein, wäre es nicht so beschwerlich. Lernen zum Beispiel. Der Journalist Benedict Carey präsentiert in diesem Buch auf den ersten Blick eine starke These: Faul sein, sich ablenken und das Pauken gut sein lassen, das alles schade dem Lernen gar nicht, sondern steigere den Lernerfolg!
Ganz so rosig sieht es dann doch nicht aus, wie der Leser bald feststellt. Der Untertitel des Buchs sollte den einschränkenden Zusatz "manchmal" erhalten. Denn natürlich müssen wir uns, um Fakten und Fähigkeiten zu erwerben, auch weiterhin konzentriert mit diesen auseinandersetzen. Allerdings ist es dabei wichtig, hin und wieder Pausen zu machen und sich anderem zu widmen, um die Inhalte sacken zu lassen.
So löst das Werk die vollmundige Versprechung des deutschen Titels kaum ein. Statt ein völlig neues Lernen zu propagieren, betont Cary vielmehr, Lernen brauche Augenmaß. Im amerikanischen Original lautet der Titel denn auch schlicht "How we learn" (Wie wir lernen).
Nützliches Wissen um die eigenen Schwächen
Zunächst führt uns Carey in die neuronalen Grundlagen der Gedächtnisbildung ein. Mit anschaulichen Metaphern wie der einer Filmcrew – bestehend aus Regisseur, Kameramann, Assistenten und Schauspielern – bringt er das Mitwirken einzelner Hirnareale am Lernprozess prägnant auf den Punkt. Im Hauptteil verweist er unter anderem auf Studien, denen zufolge das Bewusstmachen eigener Wissenslücken den Lernerfolg steigert: Wer sich mit einem Thema beschäftigt, bevor er eine Lektion durchnimmt, hat oft mehr davon, als Inhalte immer nur zu wiederholen.
Indem er Konzepte wie die Inkubation (das "Unbewusste" arbeiten lassen) und die Perkolation (mit Unterbrechungen lernen) befürwortet, stellt Carey eine Reihe verbreiteter Lernmaximen in Frage. Das Ganze garniert er geschickt mit persönlichen Anekdoten und Einblicken in Laborstudien. Unterm Strich läuft sein Bericht allerdings auf das hinaus, was Hirnforscher längst wissen: Lernen ist kein bloßes Abspeichern, sondern ein Einordnen in Bekanntes. Alles, was uns hilft, neue Informationen mit möglichst vielen Knoten in unser kognitives Netzwerk einzuflechten, dient dem nachhaltigen Lernerfolg.
Etwas zu kurz kommen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gedächtnisformen wie dem semantischen und dem prozeduralen Gedächtnis. Denn diese erfordern naturgemäß auch unterschiedliche Lernstrategien. Am Ende beantwortet Carey noch einige alltagsnahe Fragen, etwa die, wie hilfreich das Auswendiglernen per Karteikarten und anderen Notizen ist (nicht besonders) oder welche Rolle der Schlaf bei der Gedächtniskonsolidierung spielt (eine große).
Abzuschalten und die Gedanken schweifen zu lassen sind beim Lernen nicht so kontraproduktiv, wie wir meist glauben – so lautet das Fazit des Buchs. Wir brauchen demzufolge keine Angst zu haben, unsere Zeit damit zu vergeuden, vorausgesetzt, das Lernen kommt bei alldem nicht zu kurz. Die Ehrenrettung des gelegentlichen Nichtstuns gelingt Carey auf überzeugende Weise. Der Etikettenschwindel des deutschen Buchtitels bleibt dennoch ärgerlich.
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