Auf den Spuren des Schwarzen Tods
Die Pest wiegt schwer – metaphorisch, und in diesem Fall auch buchstäblich. Knapp vier Kilogramm bringt dieser Ausstellungs-Begleitband auf die Waage, herausgegeben vom LWL-Museum für Archäologie in Herne. Lesen gerät da schon mal zur logistischen Herausforderung. Das sei den Machern allerdings verziehen, denn sie vermitteln ihren Leser(inne)n damit die umfangreichen und hochinteressanten Informationen der Ausstellung »Pest!«. Die Schau selbst ist noch bis zum 10. Mai 2020 zu sehen.
Der erste Teil des Buchs versammelt auf knapp 300 Seiten nicht weniger als 28 eingängig geschriebene und reich illustrierte Essays. Der Medizinhistoriker Kay Peter Jankrift etwa, freier Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung, geht auf verschiedene historische Versuche ein, das mit der Pest einhergehende große Sterben erklärbar zu machen. Die Seuche wurde unter anderem als Strafe Gottes verstanden oder als ausgelöst von vermeintlichen Sündenböcken. Auch (proto-)wissenschaftliche und medizinische Erklärungsversuche behandelt der Autor.
Verbreitungswege der Seuche
Weitere Beiträge beleuchten, grob chronologisch sortiert, das Phänomen Pest als Ganzes oder in einzelnen Aspekten – und zwar aus der Perspektive diverser wissenschaftlicher Disziplinen. Marcel Keller, Doktorand am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena, gibt beispielsweise einen spannenden Einblick in die Archäogenetik: Mit Hilfe des genetischen Stammbaums des Erregers Yersinia pestis lassen sich die Verbreitungswege der Seuche über mehrere tausend Jahre zurückverfolgen. Die Archäologin Susanne Brather-Walter von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg untersucht den Einfluss klimatischer Veränderungen auf die Ausbreitung der Infektionskrankheit im frühmittelalterlichen Europa.
Mehrere Essays stellen gängige Erklärungen zu Pest-Pogromen in Frage. Christian Scholl vom Institut für Frühmittelalterforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt etwa, dass Juden als angebliche Verursacher eines Pestausbruchs häufig bereits verfolgt wurden, bevor die Seuche überhaupt vor Ort angekommen war. Vermutlich lösten daher oft politische oder wirtschaftliche Motive solche Pogrome aus – führende Familien konnten sich in dem Zusammenhang unter anderem Immobilienbesitz sichern oder die Macht im Stadtrat an sich reißen.
Obwohl der Band hauptsächlich den europäischen Raum in den Blick nimmt, gehen einzelne Beiträge auch auf andere Seuchengebiete ein. Der Sinologe Rudolf Pfister vom Research Institute for the History of Afro-Eurasian Life Sciences in Basel erschließt neue medizinische Quellen zur Beulenpest im frühmittelalterlichen China. Sevgi Ağcagül vom Institut für Orient- und Asienwissenschaften an der Universität Bonn zeigt eine osmanische Perspektive auf den Schwarzen Tod. Etwas aus der Reihe fällt ein einzelner englischsprachiger Aufsatz, in dem die Kuratorin Hazel Forsyth vom Museum of London die Londoner Pest von 1665 unter die Lupe nimmt.
Eine gelungene Überleitung zum ebenfalls knapp 300 Seiten starken eigentlichen Katalog bietet der Beitrag von Stefanie Dowidat. Die Ausstellungsgestalterin am LWL-Museum für Archäologie setzt sich mit dem Problem auseinander, das Thema »Pest« auszustellen und dabei nüchterne wissenschaftliche Erkenntnisse mit emotional stark aufgeladenen und tief ins kollektive Gedächtnis eingegrabenen, aber historisch nicht unbedingt korrekten Bildern in Einklang zu bringen – etwa dem Pestdoktor mit der Schnabelmaske.
Leider enthält das Werk weder einen Index noch ein Autorenverzeichnis. Man muss also selbst herausfinden, dass es sich bei den Beitragenden sowohl um Akademiker als auch um Praktiker handelt, überwiegend um Teilnehmer eines Kolloquiums, das 2018 vom LWL-Museum anlässlich der Sonderausstellung ausgerichtet wurde.
Der Katalog selbst ist ausführlich und leserfreundlich gestaltet und mit Bildern sowie Grafiken in hoher Qualität ausgestattet. Elf chronologisch und thematisch gegliederte Teile mit einem Schwerpunkt auf der so genannten »Zweiten Pandemie« im 14. Jahrhundert widmen sich Aspekten wie der Ausbreitung der Seuche, der Medizin, Religion oder dem Katastrophenmanagement.
Den Bezug zur Gegenwart stellt ein abschließendes Kapitel »Erinnerung« her, in dem auch skurrile Auswüchse des kulturellen Gedächtnisses zur Sprache kommen. So versuchte eine amerikanische Behörde 1992, den Hersteller einer Spirituose namens »Black Death« wegen irreführender Werbung zu verklagen – das Etikett verspreche den Tod, die Flasche enthalte aber doch nur Alkohol. Und während etliche Medien den »Gruselfaktor« nutzen, welcher der Pest immer noch anhaftet, kann man mittlerweile auch putzige Pestbazillen aus Plüsch erwerben. Die dürften jedoch eher dort auf Beliebtheit treffen, wo die Pest nicht heute noch Opfer fordert – ausgerottet ist sie nämlich weltweit noch nicht.
Insgesamt überzeugt das Buch als erfreulich umfassender und ansprechend gestalteter Band, der sich auf einem für interessierte Laien sehr angenehmen Niveau bewegt.
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