»Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen«: Zurück zum Ursprung des Begriffes Umwelt
Jakob Johann Baron von Uexküll (1864–1944) war Biologe und Philosoph, wurde seinerzeit jedoch – ohne förmliche Promotion oder Habilitation – als akademischer Außenseiter betrachtet. Dennoch wurden seine Forschungsarbeiten und Publikationen prägend für die Biologie des 20. Jahrhunderts. Er gilt als Pionier der Kybernetik und der theoretischen Biologie und wird als Wegbereiter der Ökologie angesehen. Von Uexküll prägte bereits im Jahr 1909 den Begriff Umwelt, der damals im Alltag kaum verwendet wurde.
1934 erschien sein Werk »Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen«; jetzt wurde es neu aufgelegt. Mit diesem Buch wendet sich der Autor gegen die früher herrschende Meinung, dass alle Lebewesen nur als Maschinen angesehen und verstanden werden können. Tiere und Menschen reagieren jedoch nicht nach einem unveränderlichen Reiz-Reaktions-Schema, sondern entsprechend den jeweiligen Erfordernissen und Zielen. Der Autor sieht die Bedeutung der Umwelt für den jeweiligen Organismus als zentral für sein Leben. Diese grundsätzliche Ansicht besagt, dass jedes Lebewesen – ob Mensch oder Tier – einen persönlichen Raum und eine subjektiv definierte Zeit besitzt. Der anatomische Aufbau, die physiologischen Funktionen und damit die Verhaltensweisen eines Organismus sind von den für ihn relevanten Merkmalen der Umgebung geprägt. Nach Uexküll basiert die Beziehung, die zwischen den verschiedenen Lebewesen und ihren spezifischen Umwelten existiert, auf Bedeutungen. Diese Biosemiotik versteht die Lebensprozesse als biologische Zeichen- und Kommunikationsprozesse.
Dies ist uns in der heutigen Biologie wenig bewusst, es spiegelt sich aber in unserem Verständnis einer evolutionären Anpassung wider: Sinneswahrnehmung und motorische Prozesse sind an die Bedürfnisse des Organismus angepasst. Die Welt einer Fliege ist anders als das, was wir als Umwelt wahrnehmen. Von Uexküll schildert anschauliche Beispiele, die nahe an unserer Erfahrung und unserem persönlichen Wissen sind. So wird das Leben von Zecken, Fliegen, Vögeln und Hunden oder von Kindern und Erwachsenen beschrieben, und der Leser sieht sich in menschliche und vor allem aber in nichtmenschliche Umwelten versetzt, die immer auf einer sehr spezifischen, subjektiven Perspektive beruhen.
Von Uexküll unterscheidet die »Umgebung« von der »Umwelt«, Letztere beruht auf einer selektiven Wahrnehmung von Umgebungselementen und bildet für den Organismus seine individuelle bedeutungsvolle Welt. Das Individuum und seine Umwelt werden auf diese Weise ganzheitlich betrachtet. Mit diesen Ideen kann der Autor auch als Wegbereiter der modernen Verhaltensforschung angesehen werden.
Das Buch besteht aus zwei Teilen: den Streifzügen und der Bedeutungslehre, die der Autor seinen wissenschaftlichen Gegnern zur freundlichen Beachtung empfiehlt. In einer Zeit, in der in wissenschaftlichen Publikationen fast nur noch sehr neue und oft nur vorläufige Ergebnisse zitiert werden, ist dem Verlag zu danken, dieses Werk neu aufgelegt zu haben. Das Buch liest sich angenehm, frei von jeglicher Aufgeregtheit und Fachchinesisch, und es kann jedem empfohlen werden, der sich auch für die geschichtliche Entwicklung der modernen Biologie interessiert.
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