Kamerad Pferd und Biowaffe Käfer
Vom Krematorium zum Bärenzwinger im Zoologischen Garten Buchenwald waren es lediglich zehn Schritte. Ein Drahtzaun trennte die Welten. Nicht nur zwischen Menschen und Bären, auch zwischen den KZ-Häftlingen und den Menschen, die in ihrer Freizeit den Zoo besuchten: Aufseher mit ihren Kindern, Personal, das Zerstreuung suchte.
Ob als »Kriegsmaterial«, Fleischlieferanten, biologische Waffen, Propagandaobjekte oder Lieblinge Hitlers, der sich auf zahllosen Fotos mit seinen Schäferhunden zeigte: Tiere spielten im Dritten Reich eine große Rolle. Einen genaueren Blick darauf hat nun der Journalist Jan Mohnhaupt geworfen. Vielen hochrangigen Nazis war daran gelegen, ihre echte oder vermeintliche Tierliebe zur Schau zu stellen, wie Mohnhaupt in dem Buch zeigt. Zu ihnen gehörte Rudolf Höß, Lagerkommandant in Auschwitz, der in seinen Erinnerungen schrieb: »Ich musste den Vernichtungsvorgang, das Massenmorden weiter durchführen, weiter erledigen, weiter kalt auch das innerlich zutiefst Aufwühlende mitansehen … Hatte mich irgendein Vorgang sehr erregt, so war es mir nicht möglich, nach Hause zu meiner Familie zu gehen. Ich setzte mich dann aufs Pferd und tobte so die schaurigen Bilder weg oder ich ging oft des Nachts durch die Pferdeställe und fand dort bei meinen Lieblingen Beruhigung.« Höß hatte offensichtlich vor allem Mitleid mit sich selbst, dass er das Grauen mitansehen musste.
Wenig beachtetes Thema
Historiker, die über die NS-Zeit forschen, haben das Thema Tiere bislang kaum behandelt. Mohnhaupt vermutet, das habe daran gelegen, dass die Bedenken zu groß waren: Die Wissenschaftler wollten nicht den Eindruck erwecken, das Leid der Menschen zu verharmlosen, indem sie Tiere in den Fokus rückten. Zwei Jahre lang hat Mohnhaupt recherchiert, was die umfangreichen Quellenangaben im Buch belegen. Das Werk ist aufschlussreich und anschaulich und nie reißerisch. Auch von erschütternden Begebenheiten berichtet der Autor mit wohltuender Zurückhaltung. Er weiß, dass die Tatsachen, die er zusammengetragen hat, beredt genug sind.
Mohnhaupt erzählt von drei Millionen Pferden, Eseln und Maultieren, die für Deutschland in die Schlacht zogen. Sie schleppten – dem Mythos von der hoch modernen, technisch top ausgerüsteten Armee zum Trotz – Nachschubgüter nach Osten, weil Fahrzeuge im Morast oder im Schnee versanken. Der Autor beschreibt auch, wie die Soldaten während der Schlacht um Stalingrad Tierkadaver aßen und herausgerissene Fleischfetzen von »Kamerad Pferd« in Schneewasser kochten. In Zahlen ausgedrückt: Von den 52 000 Pferden im Kessel von Stalingrad überlebte keines. Als Leser erfahren wir zudem von der 17. Armee, die die Krim erobern sollte, scheiterte und vor dem Rückzug den Befehl bekam, ihre 30 000 Pferde zu liquidieren, damit sie nicht als Beute den Russen in die Hände fielen. Eines nach dem anderen wurden die Tiere erschossen und stürzten über eine Steilküste ins Meer. Geschichten wie die eines verhungernden Pferdes, das altes staubiges Stroh fraß, welches als Polstermaterial in einem Sofa vernäht war, sind nicht minder erschütternd.
Auch kleine Tiere gehören zu den Protagonisten des Buchs. So erfahren wir, dass deutsche Piloten 1943 im Auftrag der Kartoffelkäfer-Forschungsstelle der Eifel 14 000 Käfer über Speyer abwarfen, um herauszufinden, ob die Insekten den Sturz aus 8000 Metern Höhe überleben und somit als biologische Waffe einsetzbar wären. Die Westfront rückte näher, das Projekt verlief im Sand. Doch wurde der Schädling ideologisch ausgebeutet: Ernst Hiemer, Chefredakteur der antisemitischen Zeitung »Der Stürmer«, hatte die »Kartoffelkäferfibel« geschrieben, die Kindern in Versen vermittelte, dass es unter den Menschen auszumerzende Parasiten gebe.
Reichsjägermeister Hermann Göring wiederum schoss mit fanatischer Hingabe Hirsche und hielt junge Löwen in seinem Haus. Diplomlandwirt Heinrich Himmler scheiterte als Hühnerzüchter und machte dann in der NSDAP und als Reichsführer SS Karriere. Sie alle sind Thema des Buchs, ebenso deutsche Schüler, die für die Fallschirmherstellung Seidenraupen züchteten, und Juden wie der Philologe Victor Klemperer und seine Frau, die ihren Kater töten lassen mussten – das Letzte, was ihnen im »Judenhaus« noch geblieben war. Denn es galt ein Haustierverbot für alle, die nicht zur »deutschen Volksgemeinschaft« gehörten.
Am Schluss des Buchs schildert der Autor die Situation Ende April 1945 im Bunker der Reichskanzlei, als Hitlers Hundeführer die Tiere des Diktators umbrachte. Den Schäferhund Wolf erschoss er, an der Hündin Blondi testete er eine Kapsel Blausäure, bevor Adolf Hitler und Eva Braun sich ebenfalls mit Blausäure töteten.
Das überwiegend im Stil einer Reportage geschriebene Buch ist unbedingt lesenswert. An jedem Tier, das er behandelt – ob Laus, Käfer, Hund, Katze, Schwein, Pferd oder Hirsch – macht Mohnhaupt die NS-Ideologie deutlich, einschließlich ihrer wirren Konzepte von Rasse, lebensunwertem Leben, Blut und Boden.
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