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Buchkritik zu »Warum Elefanten große Ohren haben«

Warum sind eigentlich fast alle großen Tiere Säugetiere? Warum gibt es so wenige Laufvögel? Was macht Australien zu einem Reptilien-Paradies? Und warum haben Elefanten so große Ohren? Diese Fragen beschäftigten Chris Lavers schon als Kind. Doch weder in der Leihbücherei seiner Heimatstadt noch später in den Universitätsbibliotheken fand er befriedigende Antworten. Inzwischen befasst er sich beruflich mit Elefantenohren: Er forscht an der Universität Nottingham über Evolution, Ökologie und Stoffwechsel von Wirbeltieren. Lavers beklagt, dass sich die Biologie oft in Details verliert. Sie betrachtet das Verhalten einer bestimmten Art, den Stoffwechselapparat einer Tierklasse, vielleicht noch die Beziehungen der Organismen in einem isolierten Lebensraum. Antworten aber auf nahe liegende, grundsätzliche Fragen gibt sie nur selten. Nicht, dass das leicht wäre. Man muss oft weit ausholen und viele Einzelinformationen intelligent kombinieren. So trug Lavers für das vorliegende Buch 25 Jahre lang Befunde aus zahlreichen Wissenschaftsdisziplinen zusammen: aus Ökologie, Morphologie, Paläontologie, Paläogeologie, Tierphysiologie, Biophysik, Genetik, Populationsökologie, Biogeografie, Paläoklimatologie, Evolutionsbiologie, Isotopen-Geochemie. Der Titel des Buchs lässt nette Geschichten über Elefanten erwarten. Die erzählt Lavers auch, aber Vorsicht: Er steigt bald in die Entwicklungsgeschichte der Arten ein. Nur auf dem Umweg über Knochenkämme in fossilen Schädeln, prähistorische Räuber-Beute-Beziehungen und das Massenverhältnis von Sauerstoff-Isotopen in Versteinerungen lässt sich erklären, warum und wie sich die heutige Fauna entwickelt hat. Konzipiert ist das Buch für Laien. Doch auch Biologen oder Ökologen ohne spezielle paläontologische Kenntnisse werden das Buch mit Gewinn lesen. Es gibt einen guten Überblick über das aktuelle Wissen zur Entstehung der Vierfüßer-Arten. Anekdoten aus dem Leben der Tiere illustrieren meist ein generelles Prinzip. Überhaupt schafft das Buch Ordnung im globalen Zoo. Lavers wichtigste Botschaft: Die Vielfalt der Erscheinungsformen im Tierreich, vom tonnenschweren Elefanten bis zur winzigen Spitzmaus, ist die Folge weniger grundlegender Anforderungen: optimale Nutzung von Energie, Regulierung des Wasser- und Wärmehaushalts sowie der Fähigkeit, Fressfeinden zu entgehen. Wer groß ist, kann sich nicht verstecken, argumentiert Lavers. Wer sich nicht verstecken kann, muss weglaufen oder kämpfen. Dazu ist man am besten warmblütig, da dann die Muskeln mehr leisten. Flugfähige Vögel können aus physikalischen Gründen nicht sehr groß werden. Und voilà, jetzt wissen wir, warum große Tiere meist Säugetiere sind. Im Buch gibt sich Lavers viel mehr Mühe mit der Erklärung. Er argumentiert nach guter Paläontologen-Manier mit mehreren parallelen Indizienketten und stützt seine Schlussfolgerungen auf zahllose Befunde. Warmblütigkeit, Größe von Tierklassen: Diese beiden zentralen Themen ziehen sich durch das gesamte Buch. In Lehrbüchern werden Warmblüter oft als die weiter entwickelten, überlegenen Arten betrachtet. Aber Tiere wie die Krokodile kommen gerade deswegen so gut in ihrem Lebensraum zurecht, weil sie keine Energie für das Heizen aufwenden. Dabei bringen sie es, nebenbei, auf beachtliche Größe, was mit den Besonderheiten des Ökosystems Fluss zu tun hat. Bei der Suche nach den Ursprüngen der Warmblütigkeit stößt Lavers auf eine der großen Streitfragen der Paläontologen: Wie haben sich die Dinosaurier entschieden, waren sie wechselwarm oder warmblütig? Lavers fährt zunächst eine Batterie von Argumenten für die Warmblüter-Hypothese auf. Wenn der Leser dann überzeugt ist, lässt er die Gegenseite die Argumente der Reihe nach entkräften. Auch wenn am Ende nicht geklärt werden kann, wer nun Recht hat: Lavers zeigt an diesem Fall sehr anschaulich, wie Paläontologen streiten. So verblüffend und überzeugend Lavers oft argumentiert: Manchmal weiß man als Leser nicht mehr, woher man kommt und wo der Autor mit einem hin will. Das liegt vor allem daran, dass Lavers sehr viele ausführliche Beispiele bringt, die den häu-fig seitenlangen Argumen-tationsstrang unterbrechen. Oft bringt er zu gerade aufgestellten Regeln unvermittelt die Ausnahmen an. An der einen oder anderen Stelle ist die Argumentation von Lavers nicht nachvollziehbar, weil er bestimmte Randbedingungen verschweigt oder zumindest nicht in Erinnerung ruft. Zu seiner Verteidigung sei gesagt: Er hat furchtbare Platznot, 304 Seiten für einige hundert Millionen Jahre. Leider ist das Buch nur spärlich mit Grafiken versehen, die zudem oft wenig aussagen. Offensichtlich um den Formel-Feinden entgegenzukommen, vermeidet Lavers jede Gleichung, beschreibt sogar den Zusammenhang zwischen Oberfläche und Volumen mit Worten – was die Sache stellenweise schwieriger macht. Sehr schön sind das ausführliche Inhaltsverzeichnis und die noch viel ausführlichere Bibliografie. Lavers hat sich die Arbeit gemacht, alle Quellen in drei Schwierigkeitsstufen einzuteilen: für das breite Publikum, für Laien und für Wissenschaftler. Das ist Service! Wer wissen will, was Vierfüßer den ganzen Tag treiben – und vor allem warum –, und wer sich dabei von ein paar didaktischen Schwächen nicht beirren lässt, der sollte Lavers’ Buch lesen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2001

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