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Biographie mit Leerstellen

Eine gute Biografie ist eine Gratwanderung: zwischen der Nähe zum Objekt, die nötig ist, um es lebendig zu vermitteln, und dem Abstand, den es braucht, um glaubwürdig zu bleiben. Die Journalistin Elke Endraß gerät in diesem Buch über den Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung (1875 – 1961) in Schieflage.

Wortwahl und Erzählstil vermitteln den Eindruck, dass sie seine Perspektive unhinterfragt übernimmt – etwa wenn sie über Jungs Teilnahme an spiritistischen Sitzungen berichtet. Nur stellenweise geht sie auf Distanz, zum Beispiel zu seinen antisemitischen Äußerungen ("das arische Unbewusste hat ein höheres Potential als das jüdische"). Jungs Rechtfertigungen formuliert sie in indirekter Rede, lässt sie aber unkommentiert.

Eine wissenschaftliche Einordnung seiner Analytischen Psychologie klingt nur am Rande an, stattdessen konzentriert sich Endraß auf die Rolle von Spiritualität und Glaube in seinem Leben und Schaffen. Wie sich die spirituelle Orientierung in seinem Antisemitismus niederschlägt, kommentiert die Autorin jedoch nur mit Fragen wie "Was soll man davon halten, wenn Jung in Hitler einen Ergriffenen sah?" – ohne eine Antwort anzubieten. Gewiss wird sie das rhetorisch gemeint haben, aber eine klare Aussage hätte nicht geschadet. Eine Biografie mit vielen Leerstellen, weil sich die Autorin oft scheut, Position zu beziehen.
  • Quellen
Gehirn&Geist 6/2011

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