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Nutze die Kraft Deines Gegners…

Als meine heute 22 Jahre alte Tochter gerade laufen und sprechen konnte, vertrat sie auf dem Spielplatz die Ansicht, Kindern, die sie ärgerten oder gar geschlagen haben, sagen zu müssen: "Wir dürfen uns nicht hauen, wir müssen über alles reden." Als Mutter hat mich das zugegebenermaßen manchmal auch ein wenig verärgert. Denn viele Kinder konnten noch nicht sprechen und verstanden also auch nicht die Argumentation meiner Tochter: Sie schlugen einfach weiter zu. Als Mutter versuchte ich dann meine Tochter davon zu überzeugen, dass in manchen Situationen reden nicht viel hilft und sie sich verteidigen sollte. Das Ende vom Lied war, wie das bei Kindern oft so ist: Sie hören nicht auf ihre Eltern.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Peter Räfles Buch "Das Ende des Schreckens" handelt von diesem Grundgedanken: Es ist eine Anleitung, um sich im Beruf und Alltag erfolgreich zu verteidigen, aber nicht durch Schlagen, sondern natürlich mit Worten. Schließlich sind wir erwachsene Menschen und keine Sandkastenkinder. Sehr häufig wurde ich während des Lesens deshalb an das Sprichwort erinnert: "Der Klügere gibt nach!"

Räfle Ziel ist es, dass Menschen in schwierigen Situationen – beruflich oder privat – lernen, sich effektiver zur Wehr zu setzen, indem sie eine gewisse standardisierte Sprach- und Redetechnik anwenden. Erstaunlich ist dabei die Tatsache, dass dies jeder lernen kann. Um gegen die Aggressionen von außen anzukämpfen, muss die Person über gewisse Strategien und Techniken verfügen, damit sie sich in Stresssituationen erfolgreich zur Wehr setzen kann.

Wie soll und kann das gelingen? Wie kann ich mich gegenüber Arbeitskollegen oder Nachbarn, die versuchen mich zu ärgern oder gar zu mobben, ruhig gegenübertreten und ohne einen Anschein von Aggression, mich zur Wehr zu setzen? Räfles Werk dient als Ratgeber für Krisensituationen. Auf 223 Seiten, unterteilt in sechs große Kapitel, erfährt der Leser, was er in bestimmten Situationen sagen kann und wie er sich verhalten soll. Eine wichtige Taktik dabei ist, sich den Gegner auf Abstand zu halten, da man schließlich nicht jeden Kampf gewinnen kann.

Seine Ausbildung zum Psychotherapeuten kommt dem Autor dabei ebenso zugute wie seine Erfahrung als Wing-Tsun-Sportler. Bei dieser Kampfsportart zur Selbstverteidigung geht es darum, sich vom Gegner keinen Kampf aufzwingen zu lassen, sondern diesen wirksam auf Distanz zu halten. Räfle baut auf eine geschickte Art und Weise seine Erfahrungen auf diesem Gebiet intensiv in das Buch ein. Er verwendet dazu fast auf jeder Doppelseite Illustrationen, die sich immer auf die gerade dargestellte beziehungsweise geschilderte Situation beziehen. Sie zeigen sowohl Aktionen als auch Reaktionen ebenso wie Angriff und Verteidigung. Zu diesen Illustrationen findet der Leser dann die entsprechenden Erklärungen, so dass sie direkt umgesetzt werden können.

Einen weiteren für den Leser positiven Effekt, erreicht der Autor durch die Schilderung von unterschiedlichsten Fallbeispielen, so dass man vielleicht seine eigene Situation mit der einer anderen Person vergleichen kann und sich nicht allein fühlt. Es gelingt dem Autor durch die Ansprache des Lesers, ihn aktiv in die Übungen mit einzubinden. Man fühlt sich regelrecht aufgefordert, jetzt doch aufzustehen und sich vor den Spiegel oder Schrank zu stellen und laut und deutlich einen wichtigen "Das-Satz" zu sagen, wie "Das reicht jetzt!" oder "Das passt jetzt nicht!" Eine weitere zentrale Aussage für mich in diesem Buch war zudem, dass man in Konfliktsituationen auf keinen Fall die Wörter "Ich" und "Du" verwenden soll. Denn es gilt, einen gebührenden Abstand zur Konfliktperson herzustellen.

Insgesamt ist das Werk gut zu lesen. Räfle schreibt in einer verständlichen und motivierenden Sprache, an manchen Stellen sogar ein wenig unterhaltsam, so dass ich während des Lesens manchmal schmunzeln musste. Und noch ein Fazit konnte ich ziehen: Meine Tochter wusste wohl damals schon, dass ihre Strategie die richtige ist.

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