Das Bewusstsein als Illusion
Wenn ein Bereich, über den wir aus dem Alltag gut Bescheid wissen, Gegenstand analytischer Forschung wird, geraten Überzeugungen ins Wanken, und Vertrautes mutet fremd an. Manchmal scheint der Forschungsgegenstand unter dem mikroskopischen Blick der Wissenschaft sogar ganz zu verschwinden. Nachdem die Quantenphysik aus der Materie, dem festen Boden unter meinen Füßen, ein unscharfes Gemenge von Wahrscheinlichkeitswellen gemacht hat, kommt nun die Hirnforschung und stellt meine unmittelbarsten Erfahrungen in Frage: Wie authentisch ist mein höchstpersönliches Erlebnis – zum Beispiel der Farbe Rot –, wenn es "in Wirklichkeit" doch nur neuronale physikochemische Prozesse gibt? Mit welchem Recht darf ich überhaupt "ich" sagen?
Thomas Metzinger antwortet radikal: Wenn man das naturwissenschaftliche Weltbild ernst nimmt, dann ist letztlich alles Physik; die Qualität dieser Farbe da, mein Entschluss jetzt, dieses Handlungsziel, mein Selbst – das alles gibt es in Wirklichkeit nicht. Mein Bewusstsein ist eine Illusion, denn, so wörtlich auf Seite 192: "Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint, ist kein Argument für irgendetwas."
Dieser rabiate physikalistische Reduktionismus wird von Metzinger selbst praktisch widerlegt, denn er referiert in seinem Buch kein einziges physikalisches oder chemisches Experiment, sondern eine Fülle von kognitionspsychologischen Erkenntnissen, die eben dadurch faszinieren, dass sie "auf der Ebene des bewussten Erlebens" erscheinen. Es läuft auf eine je nach Geschmack heilsame oder unnötige Provokation hinaus, wenn Metzinger den übrigen Geistphilosophen den Satz "Euer Geist existiert nicht" entgegenschleudert, während er in Wahrheit erklären möchte, wie der Geist evolutionär entstanden ist und wie das Bewusstsein aus komplexen Hirnprozessen hervorgeht. So macht er zum Schein Tabula rasa und baut hinterher brav alles wieder auf.
Darum ist auch Metzingers Bild vom Bewusstsein als Ego-Tunnel schief. Er will damit die poetische Idee veranschaulichen, dass die Wirklichkeit an sich viel reicher ist als unser Bewusstsein von ihr. "Was wir sehen und hören oder ertasten und erfühlen, was wir riechen und schmecken, ist nur ein kleiner Bruchteil dessen, was tatsächlich in der Außenwelt existiert … Aus diesem Grund ist der kontinuierlich ablaufende Vorgang des bewussten Erlebens weniger ein Abbild der Wirklichkeit als vielmehr ein Tunnel durch die Wirklichkeit." Aber dafür taugt die Metapher vom Tunnelblick schlecht. Weder sehen wir seitwärts nur künstlich-unwirkliche Wände noch erscheint uns am Ende des Tunnels die Wirklichkeit so, wie sie ist. Der "Tunnel" meines Ichs ist nicht schwarz, sondern so bunt und transparent, dass Metzingers Buch längst nicht ausreicht, ihn zu erfassen. Und die Wirklichkeit ist kaum als Licht am Ende eines Tunnels beschreibbar.
Auf den Gedanken, dass das Ich nicht Fundament und Ausgangspunkt allen Denkens ist, sondern eher eine soziale Konstruktion, sind manche Philosophen übrigens schon lange vor der enorm überschätzten Entdeckung der Spiegelneurone gekommen. "Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis." Das schrieb der Experimentalphysiker und Literat Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert in seine Sudelbücher.
Lässt man Metzingers Rhetorik und Metaphorik einmal beiseite, dann bietet sein Buch einen spannenden Ausblick auf aktuelle Resultate der Kognitionsforschung – insbesondere auf außerkörperliche Erfahrungen, zu denen der Autor selbst Versuche angestellt hat. Bei solchen Erlebnissen scheint sich der Geist, der ja immer auch Gespenst bedeutet, vom Körper zu lösen, und die experimentelle Geisteraustreibung scheint Metzinger ein besonderes Anliegen zu sein.
Gegen Ende streift der Mainzer Philosoph die neuroethische Frage, ob in Zukunft künstliche Ego-Maschinen, so dereinst machbar, tatsächlich gebaut werden dürften. Er verneint das mit dem Argument, wir würden durch das Schaffen künstlichen Bewusstseins das Leiden auf der Welt vermehren. Das erscheint mir eine skurrile Überlegung. Wir züchten gegenwärtig massenhaft Tiere zu dem Zweck, sie zu schlachten und zu verspeisen. Wir setzen Kinder in die Welt, ohne zu wissen, ob sie ein glückliches Leben haben werden. All das müssten wir, wenn Metzingers Argument sticht, auf der Stelle unterlassen.
Eigentlich wäre so gesehen sogar jeder Mord eine Wohltat, denn er schafft Bewusstsein aus der Welt und senkt das Ausmaß künftigen Leidens. Müsste Metzinger es nicht am besten finden, die Menschheit überhaupt radikal auszurotten? Dann hätte er mit dem Geist zugleich alles Leiden restlos beseitigt.
Thomas Metzinger antwortet radikal: Wenn man das naturwissenschaftliche Weltbild ernst nimmt, dann ist letztlich alles Physik; die Qualität dieser Farbe da, mein Entschluss jetzt, dieses Handlungsziel, mein Selbst – das alles gibt es in Wirklichkeit nicht. Mein Bewusstsein ist eine Illusion, denn, so wörtlich auf Seite 192: "Dass etwas auf der Ebene des bewussten Erlebens und auf eine ganz bestimmte Weise erscheint, ist kein Argument für irgendetwas."
Dieser rabiate physikalistische Reduktionismus wird von Metzinger selbst praktisch widerlegt, denn er referiert in seinem Buch kein einziges physikalisches oder chemisches Experiment, sondern eine Fülle von kognitionspsychologischen Erkenntnissen, die eben dadurch faszinieren, dass sie "auf der Ebene des bewussten Erlebens" erscheinen. Es läuft auf eine je nach Geschmack heilsame oder unnötige Provokation hinaus, wenn Metzinger den übrigen Geistphilosophen den Satz "Euer Geist existiert nicht" entgegenschleudert, während er in Wahrheit erklären möchte, wie der Geist evolutionär entstanden ist und wie das Bewusstsein aus komplexen Hirnprozessen hervorgeht. So macht er zum Schein Tabula rasa und baut hinterher brav alles wieder auf.
Darum ist auch Metzingers Bild vom Bewusstsein als Ego-Tunnel schief. Er will damit die poetische Idee veranschaulichen, dass die Wirklichkeit an sich viel reicher ist als unser Bewusstsein von ihr. "Was wir sehen und hören oder ertasten und erfühlen, was wir riechen und schmecken, ist nur ein kleiner Bruchteil dessen, was tatsächlich in der Außenwelt existiert … Aus diesem Grund ist der kontinuierlich ablaufende Vorgang des bewussten Erlebens weniger ein Abbild der Wirklichkeit als vielmehr ein Tunnel durch die Wirklichkeit." Aber dafür taugt die Metapher vom Tunnelblick schlecht. Weder sehen wir seitwärts nur künstlich-unwirkliche Wände noch erscheint uns am Ende des Tunnels die Wirklichkeit so, wie sie ist. Der "Tunnel" meines Ichs ist nicht schwarz, sondern so bunt und transparent, dass Metzingers Buch längst nicht ausreicht, ihn zu erfassen. Und die Wirklichkeit ist kaum als Licht am Ende eines Tunnels beschreibbar.
Auf den Gedanken, dass das Ich nicht Fundament und Ausgangspunkt allen Denkens ist, sondern eher eine soziale Konstruktion, sind manche Philosophen übrigens schon lange vor der enorm überschätzten Entdeckung der Spiegelneurone gekommen. "Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke übersetzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist praktisches Bedürfnis." Das schrieb der Experimentalphysiker und Literat Georg Christoph Lichtenberg im 18. Jahrhundert in seine Sudelbücher.
Lässt man Metzingers Rhetorik und Metaphorik einmal beiseite, dann bietet sein Buch einen spannenden Ausblick auf aktuelle Resultate der Kognitionsforschung – insbesondere auf außerkörperliche Erfahrungen, zu denen der Autor selbst Versuche angestellt hat. Bei solchen Erlebnissen scheint sich der Geist, der ja immer auch Gespenst bedeutet, vom Körper zu lösen, und die experimentelle Geisteraustreibung scheint Metzinger ein besonderes Anliegen zu sein.
Gegen Ende streift der Mainzer Philosoph die neuroethische Frage, ob in Zukunft künstliche Ego-Maschinen, so dereinst machbar, tatsächlich gebaut werden dürften. Er verneint das mit dem Argument, wir würden durch das Schaffen künstlichen Bewusstseins das Leiden auf der Welt vermehren. Das erscheint mir eine skurrile Überlegung. Wir züchten gegenwärtig massenhaft Tiere zu dem Zweck, sie zu schlachten und zu verspeisen. Wir setzen Kinder in die Welt, ohne zu wissen, ob sie ein glückliches Leben haben werden. All das müssten wir, wenn Metzingers Argument sticht, auf der Stelle unterlassen.
Eigentlich wäre so gesehen sogar jeder Mord eine Wohltat, denn er schafft Bewusstsein aus der Welt und senkt das Ausmaß künftigen Leidens. Müsste Metzinger es nicht am besten finden, die Menschheit überhaupt radikal auszurotten? Dann hätte er mit dem Geist zugleich alles Leiden restlos beseitigt.
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