Schmarotzer in Nadelstreifen
In gewisser Weise ist Korruption das sauberste aller Verbrechen: Es fließt kein Blut, und alle direkt Beteiligten zählen zu den Tätern und Nutznießern. Die Opfer wissen oft nicht einmal, dass sie um etwas betrogen wurden – etwa um eine faire Chance bei der Vergabe eines Bauauftrags. Und die Täter verkehren, selbst wenn sie überführt werden, trotz oder wegen ihrer dubiosen Machenschaften in den besten Kreisen Ob Bestechung, Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung: Zu diesen Methoden greifen in unseren Breiten oft gerade jene Menschen, die es auf Grund ihrer beruflichen Position eigentlich nicht nötig hätten. Warum also tun sie es trotzdem?
Diese Frage steht im Zentrum des Sachbuchs der drei Wiener Autoren um den Polizeijuristen Maximilian Edelbacher. Ihr Lagebericht fällt verheerend aus: In Deutschland herrsche laut dem hiesigen Kriminalbeamtenbund Lobbykratie und organisierte Kriminalität. Die große Politik sei quasi per definitionem "zutiefst korrupt". Dem Bundeskriminalamt zufolge zählen zu den typischen Kennzeichen bestechlicher Politiker etwa Beraterverträge, kostspielige Werbegeschenke und privater Umgang mit Bietern und Antragstellern.
Detailliert schildern die Autoren prominente Fälle wie den Siemens-Skandal und die "Causa Wulff", in denen Korruption nachgewiesen oder vermutet wurde. An diesen und ähnlichen Beispielen vollziehen sie nach, wie die Selbstbedienungsmentalität in Politik und Wirtschaft funktioniert und wie sie mit organisierter Kriminalität oft Hand in Hand geht. Die Autoren zeigen ebenfalls auf, welche Konsequenzen jenen drohen, die korrupte Verflechtungen aufdecken wollen. So wurden 2009 in Frankfurt erfolgreiche Steuerfahnder mittels psychiatrischer Gutachten für dienstunfähig erklärt und gegen ihren Willen in den Ruhestand versetzt.
Auf der Suche nach den Motiven und Ursachen für Korrumpierbarkeit zieht das Autorentrio vor allem psychologische Konzepte heran. Doch wissenschaftliches Denken zählt nicht zu ihren Kernkompetenzen. Ihre Thesen untermauern sie zwar mit vielen Beispielen, aber häufig auch mit nur vage angedeuteten psychologischen Theorien und Befunden.
Noch dazu verwenden die Autoren zentrale Begriffe unpräzise. So diskutieren sie, ob Korruption (ein Straftatbestand) eine natürliche menschliche Eigenschaft oder eine psychische Störung sei. Sie entscheiden sich für Letzteres – mit der Begründung, nicht alle Menschen seien korrupt. So einfach könnte klinische Diagnostik sein.
Auf die Frage nach den Ursachen zitieren sie eine Binsenweisheit psychologischer Forschung: Wir sind das Resultat unserer Erbanlagen und Erfahrungen. Oder, wie die Autoren es ausdrücken, "das Produkt unserer psychoneuronalen Programme". Leider beschreibt und begründet das Trio auch diese These nicht näher, obwohl es dazu gewiss genug empirische Befunde gibt.
In dem Stil geht es weiter zum Thema Therapierbarkeit der "Störung": Die Grenzen unserer Programme könnten "durch Selbstreflexion, Selbsterkenntnis und Selbstkontrolle" durchbrochen werden. Dafür müssten wir "den Autopiloten weit gehend deaktivieren, indem wir in einem möglichst entspannten Zustand bewusst und rational nachdenken". Denn dann würden wir weniger von Ängsten und Widerständen beherrscht.
Durchaus interessant ist die Hypothese, dass es dem Menschen im Grunde nie um die Sache gehe, sondern um Triebe, Bedürfnisse, Interessen, Einstellungen und Wertvorstellungen. Dazu zitieren die Autoren an späterer Stelle eine Studie, wonach nur wenige Menschen ihre fundamentalen Bedürfnisse uneingeschränkt befriedigen könnten. Wie die Forscher zu diesem Schluss gelangten, bleibt allerdings im Dunkeln.
Aus nicht näher erläuterten "wissenschaftlichen Erkenntnissen" leiten sie auch 30 Korruptionstypen ab, darunter Angeber, Gierige, Karrieregeile, Verdränger und Frustrierte. Christian Wulff etwa habe latente Minderwertigkeitsgefühle mit Karriere, Ruhm und Besitz kompensieren wollen, um Freunden zu imponieren und einer jüngeren Frau zu gefallen. Auf ähnlich wackeligen Beinen steht eine Liste von Faktoren, die Korruption begünstigen sollen, wie mangelnde Gesetze, Gelegenheit, Intransparenz, geringes Risiko, Vetternwirtschaft und viele mehr. In manchen Ländern sei Nepotismus so tief im Alltag verankert, dass Antikorruptionsgesetze wenig ausrichten könnten.
Aus all dem schließen die Autoren auf Anforderungsprofile und Regeln für Politiker, die Korruption vorbeugen sollen. Ihre Forderungen könnten durchaus Hand und Fuß haben. Allein, es fehlt an allen Ecken und Enden die wissenschaftliche Basis. Und so vermittelt das Buch zwar einen spannenden Einblick in korrupte Strukturen und Praktiken, bleibt aber in der psychologischen Analyse oberflächlich und spekulativ.
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