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Die Säulen der Physik kennenlernen

Claus Kiefer unternimmt in seinem Buch eine weite Wanderung, die ihn von den Grundlagen der Allgemeinen Relativitätstheorie, der Quantentheorie und der statistischen Physik bis zu den Versuchen führt, an vorderster Front der physikalischen Forschung eine Vereinigung der Quantenphysik mit der Theorie von Raum und Zeit zu finden.

Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Die ersten vier legen das Fundament: Allgemeine Relativitätstheorie, Quantentheorie, statistische Physik unter dem Begriff der Entropie, und schließlich Kosmologie. Sie fassen auf sehr prägnante Weise diese Gebiete zusammen und entwerfen das Bild des Universums, wie es sich uns heute darstellt: Eine Raumzeit, die sehr erfolgreich durch die Allgemeine Relativitätstheorie beschrieben wird, kosmologische Modelle, die unter weitgehenden Symmetrieannahmen zwingend daraus folgen und ein bemerkenswert einfaches Bild des Kosmos als Ganzem liefern, die Mikrophysik, die durch die Quantentheorie hervorragend beschrieben wird und erst durch die Entropie eine zeitliche Orientierung bekommt – und das große Rätsel, wie diese kräftigen Säulen der modernen Physik zu einem tragfähigen Gebäude zusammen gefügt werden könnten. Es gelingt Claus Kiefer, dies auf präzise und verständliche Weise so darzustellen, dass die wesentlichen Elemente dieser Säulen klar erkennbar werden.

Der zweite Teil des Buchs bricht in ein Gelände auf, dessen entferntere Topografie wir nicht kennen. Das fünfte Kapitel beschreibt, wie Theorien der Quantengravitation konstruiert werden könnten, welche Bedingungen sie erfüllen müssen, welchen Einschränkungen sie sich gegenübersehen, welche Ansätze es dazu in Gestalt der Schleifen-Quantengravitation und in der Stringtheorie gibt und wie sie vielleicht überprüft werden könnten. Schließlich stellt das sechste Kapitel dar, wie quantentheoretische Modelle des gesamten Universums aussehen könnten, wodurch die Zeitorientierung in ihnen definiert wird und welche Rolle das anthropische Prinzip bei der Auswahl unseres tatsächlichen Universums aus einer hypothetischen Unzahl von Multiversen spielen könnte.

Das Buch schließt mit einer ehrlichen Zusammenfassung und gibt einen fast bescheidenen Ausblick: Wir müssen anerkennen, dass wir trotz gewaltiger und langer Anstrengungen immer noch weit von einer Theorie der Quantengravitation entfernt sind und nach wie vor auf schwankendem Grund tasten.

In Claus Kiefers eigenen Worten: "Es war gerade mein Anliegen, die Konsequenzen dieser Theorie [der Quantentheorie] bei ihrer Anwendung auf das Weltganze aufzuzeigen, auch wenn diese Konsequenzen zur Zeit noch nicht direkt überprüft werden können." Diesem Anliegen wird das Buch auf eine sehr ernsthafte und interessante Weise gerecht. Es gibt keine fertigen Antworten, und es stellt auch kein fertiges theoretisches Gebäude vor. Es schildert die Säulen, auf denen ein solches Gebäude einmal ruhen könnte, und die Bauprinzipien, die seine Architekten seiner Konstruktion zu Grunde legen. Es lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass eine Quantentheorie des Universums auch ganz anders aussehen könnte, weil wir auch noch nicht wissen können, ob die jetzt entwickelten physikalischen Konzepte wirklich die nötige Tragweite haben.

Dieses Buch zu lesen, hat mir Freude gemacht, und ich habe daraus viel gelernt. Besonders im zweiten Teil verlangt es seinem Leser aber alle Aufmerksamkeit ab, weil es dort die ohnehin schon reichen Gedankengänge der vorangehenden Kapitel miteinander verflicht und neue Konsequenzen in schneller Folge darstellt. Dennoch lohnt sich die Mühe für jeden, der erfahren möchte, welche Fragen in diesem Gebiet der modernen theoretischen Physik derzeit verfolgt werden und warum.

Wer mit dem zweiten Teil des Buchs Schwierigkeiten hat, wird immer noch viel aus dem ersten Teil ziehen können, also aus den ersten vier Kapiteln, in denen Claus Kiefer die Grundlagen beschreibt, die uns als gesichert gelten. Insgesamt kann ich dieses sehr lehrreiche Buch warm empfehlen. Wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt. Der Leser möge aber wissen, dass er sich auf einen steilen Pfad in ein Hochgebirge begibt, dessen Gipfel noch in dichten Wolken stecken.
  • Quellen
Sterne und Weltraum 4/2009

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