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Prachtfedern zum Wegwerfen

Nach herkömmlicher Auffassung haben die Männchen etlicher Tierarten das Pech, sich mit einem Handikap abplagen zu müssen: sperrige Geweihe oder Gehörne, grellbuntes Gefieder, ellenlange Mähnen oder halsbrecherische Balzrituale. Den Pfauenhahn kostet sein imposantes Schwanzgefieder einen ungeheuren Aufwand an Energie, es belastet ihn auf Schritt und Tritt, macht seine Feinde auf ihn aufmerksam, behindert ihn bei der Flucht und versperrt ihm – im aufgefächerten Zustand – die Sicht nach hinten.

Nach Darwins Theorie der sexuellen Selektion haben sich solche extravaganten körperlichen Merkmale und Verhaltensweisen entwickelt, weil die Weibchen anhand dieser Eigenschaften ihren Paarungspartner wählen. Ein zufällig entstandenes derartiges Merkmal und dessen ebenso zufällige Bevorzugung durch die Weibchen hätten sich im Lauf der Evolution gegenseitig verstärkt. Im Extremfall könne eine Art durch dieses Wettrüsten der Männchen am Ende in eine evolutionäre Sackgasse geraten.

Die Handikap-Theorie der israelischen Biologen Amotz und Avishag Zahavi fügt Darwins Überlegungen ein entscheidendes Argument hinzu: Je kräftiger und widerstandsfähiger ein Männchen ist, desto eher ist es in der Lage, trotz schwerer Handikaps in einer feindlichen Umwelt zu überleben. Gerade deswegen zeigen die hinderlichen Merkmale den Weibchen zuverlässig an, wie es um die körperliche und genetische Fitness ihrer Freier bestellt ist.

In diese Diskussion bringt der Münchner Zoologe Josef Reichholf nun eine neue, überraschende These: Das vermeintliche Handikap ist in Wirklichkeit gar keins. Während die Erpel ihr farbenprächtiges Brunftkleid tragen (Bild), werden sie nicht häufiger gefressen als im Schlichtkleid. Dem Pfauenhahn dient das luxuriöse Prachtgefieder gegen seinen einzigen ernst zu nehmenden Fressfeind, den Leoparden, als Schutzschild gegen einen Angriff von hinten. Im äußersten Notfall kann er sich seines Schmucks durch "Schreckmauser" entledigen und damit dem Leoparden statt seiner selbst einen unappetitlichen Haufen Federn zum Fraß vorwerfen. Außerdem erzeugen seine Zierfedern im Dschungel ein Flimmern und Glitzern, das seinen Feinden das Erkennen erschwert.

Der auffällige Körperschmuck hat noch eine weitere, unerwartete Funktion: Er dient als Sondermülldeponie. Tropische Vögel ernähren sich in erster Linie von Früchten, die reich an Farbstoffen sind. Da das Zeug für sie teils giftig, teils nutzlos ist, deponieren sie es in ihren Federn, wo es keinen Schaden anrichten kann. Das gilt auch für die weniger auffälligen braunen und schwarzen, melaninhaltigen Pigmente der Vögel in anderen Klimazonen.

Das sei, so vermutet Reichholf, sogar die ursprüngliche Funktion der Federn gewesen, bevor sie zum Fliegen "zweckentfremdet" wurden. "Die Feder ist ein Produkt des Stoffwechsels, und zwar entstanden aus Eiweißbestandteilen, die Schwefel enthalten. Würden die, wie bei Säugetieren, im Körper abgebaut werden müssen, entstünde giftiger Schwefelwasserstoff", und zwar bei Vögeln wegen ihrer hohen Stoffwechselintensität in so großen Mengen, dass sie das Abfallproblem anders als die Säuger nicht allein durch Ausscheiden lösen könnten.

Aus Spektrum der Wissenschaft 03/2012
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Ein Weibchen investiert einen Teil seiner Energie und seiner Stoffwechselprodukte in den Nachwuchs. Das Männchen – einigermaßen vergleichbaren Stoffwechsel vorausgesetzt – muss diesen Anteil auf andere Weise loswerden. Was beispielsweise die Pfauenhenne an Proteinen für die Erzeugung von Eiern von ihrem Körper abgibt, steckt der Hahn in sein Prachtgefieder. Die Herstellung der Eier verschlingt so viel Energie wie die der langen Schwanzfedern. Und der Energieaufwand der Henne fürs Brüten entspricht dem, was der Hahn aufbringen muss, um seine Schmuckfedern zum Rad aufzustellen und sie rascheln zu lassen.

Das Prachtgeweih des Hirschbocks enthält so viel Kalziumphosphat, wie die Hirschkuh zum Aufbau der Knochen ihrer Kälber investiert hat. "In der Bilanz entsprechen diese Spitzenleistungen des mütterlichen Stoffwechsels den Investitionen der Hirsche in ihr Geweih und ihr Gewicht. Männliches Brunftgehabe wäre somit geradezu ein physiologisches Abbild der weiblichen Schwangerschaft." Und wo die Zusammensetzung der Nahrung diese Deponiefunktion nicht erzwingt, umwerben die Männchen ihre Partnerinnen weniger durch Körperschmuck als durch akrobatische Balz oder Gesangskunst.

Reichholf gelangt am Ende zu dem Resultat, dass als "schön" schlicht diejenigen Attribute aufzufassen sind, an denen die Weibchen erkennen können, ob die Männchen gesund und mit guten Genen ausgerüstet sind und ob sie im Stande sind, genügend zur Versorgung des Nachwuchses beizutragen. Dabei ist jede Form der Symmetrie ein Anzeichen dafür, dass die körperliche Entwicklung ohne größere Störungen verlaufen ist und das Immunsystem gut funktioniert.

Das sind keine neuen Einsichten. Dafür ist umso verblüffender, was Reichholf über die verwickelten Beziehungen zwischen ökologischen Bedingungen, Stoffwechselprozessen und den Mechanismen der sexuellen Selektion zu sagen hat. Seine gewagte, aber empirisch leicht überprüfbare Theorie kann darüber hinaus schlüssig erklären, warum die sexuelle Selektion nicht bei allen Tierarten wirkt, warum sie sich von Art zu Art unterschiedlich auswirkt und was den in der Menschenwelt geltenden Schönheitsvorstellungen zu Grunde liegt. Ein exzellentes Buch.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 3/2012

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