Einführung in die frühe Geodäsie
Dem Haupttitel "Die Kartenmacher" wird der Inhalt des Buchs nur bedingt gerecht, denn die Technik der Herstellung "ebener" Landkarten und die damit einhergehenden Probleme der Kartografie, wie zum Beispiel die Vor- und Nachteile der verschiedenen Projektionsmethoden (etwa derjenigen von Merkator), werden hier nicht erläutert. Viel zutreffender beschreibt dagegen der Untertitel das eigentliche Anliegen des Autors: Es geht in der Tat um einen Wettstreit – zwischen Frankreich und England um die "Vermessung der Welt": Genauer gesagt, um die Festlegung eines Bezugssystems für die Längenzählung, den Nullmeridian, ein Jahrzehnte dauerndes Tauziehen zwischen den Astronomen in Paris und London. Schwerpunkt und Zentrum aller Aktivitäten – der wissenschaftlichen wie der politischen – ist Paris, beziehungsweise die Pariser Sternwarte im 17. und 18. Jahrhundert.
Dabei schildert Paul Murdin sehr detailliert die Vermessungsarbeiten für den Meridian. Er ging aus vom Observatorium durch die Hauptstadt nach Süden und nach Norden. Der Leser wird geradezu überhäuft mit topografischen Zielpunkten wie Ortschaften, Kirchtürmen, Windmühlen, Bergspitzen und anderen markanten Plätzen, die deutlich über die Umgebung an Höhe hinausragen (der Leser muss schon ein intimer Kenner Frankreichs sein, um all diese Touren "genießen" zu können…). Aber die Feldarbeit der Vermessungstrupps kann viel anders wohl nicht beschrieben werden.
Technische Hilfsmittel dieser frühen Geodäsie waren schwergewichtige Quadranten und Sextanten, die mühsam über örtliche Hindernisse, wie Flüsse und Hügel transportiert werden mussten. Nicht selten wurden die Arbeiten zudem durch Anwohner entlegener Gebiete erheblich behindert, weil diese darin unbekannte Gefahren befürchteten.
Die Bestimmung der geografischen Koordinaten Länge und Breite für möglichst viele Erdorte geschah mit Hilfe der Triangulation, bei der von den beiden Enden einer Basis bekannter Länge Peilungen (Winkelmessungen) zu einem Punkt unbekannter Koordinaten vorgenommen wurden. Einfache Gesetze der Trigonometrie führten schließlich zu den bis dahin unbekannten Koordinaten der angepeilten Orte. Ziel einer Vielzahl dieser Messungen war in erster Linie die Festlegung des Nullmeridians – in jener Zeit ein nationales Prestigeunternehmen! Darüberhinaus sollte ein dichtes Dreiecksnetz das ganze Land überziehen, um die Erstellung einer Frankreichkarte zu ermöglichen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden Anstrengungen unternommen, den Pariser Meridian nach Süden bis Barcelona (Leiter: Méchain) und nach Norden bis Dünkirchen (Leiter: Delambre) auszudehnen. Méchain und seine Mitarbeiter gerieten dabei ins politische Spannungsfeld zwischen Frankreich und Spanien im Zuge der französischen Revolution von 1789 und kamen nicht selten in Lebensgefahr.
So bedeutend und lebenswichtig ein einheitliches Bezugssystem für die Orientierung auf der Erdoberfläche, insbesondere für die Seefahrt, auch ist: Die Gestalt der Erde beeinflusst alle einschlägigen Messungen. Zwei konkurrierende Theorien zur Erdgestalt stehen damals einander gegenüber: diejenige von Newton und die von Descartes. Zur Überprüfung und zum Vergleich der Messungen werden (von Frankreich aus) Expeditionen in pol- und äquatornahe Gegenden, nach Lappland (1734 bis 1737) und nach Ecuador (1735 bis 1744) entsandt. Geodätische Messungen der Gradlänge und Messungen der Sekunden- Pendellänge sollen zwischen beiden Theorien entscheiden. Ergebnis: Wie von Newton vorhergesagt, ist die Erde an den Polen abgeplattet!
Der Suche nach einem universellen Längenmaß (Urmeter), das alle willkürlichen Definitionen ersetzen sollte, ist ein weiteres Buchkapitel gewidmet. Ergebnis des Ringens mehrerer Kommissionen: Ein Meter ist der zehnmillionste Teil des Erd- Meridianquadranten.
Und die Situation all der Bemühungen heute: Der Greenwich-Meridian hat das französische System längst verdrängt. Ausschlaggebend war sicher die vorherrschende Stellung Englands als Seemacht und ihr vitales Interesse an der Orientierung auf den Meeren. Weltstandard für die Koordination von Zeit und Länge ist heute unangefochten Greenwich. Der Pariser Meridian bleibt aber immer ein lebendiges Stück Wissenschaftsgeschichte. Im Zeitalter der Raumfahrt führen Satellitenmessungen zu feinen Korrekturen des terrestrischen Bezugssystems, das die historischen Nullmeridiane von Paris und London inzwischen zur reinen Abstraktion werden lassen.
Im Rahmen dieser Rezension konnte bei Weitem nicht alles angesprochen werden, was an diesem Buch bemerkenswert ist. Aber ich denke, es ist dem Autor gelungen, durch die Schilderung der abenteuerlichen Erlebnisse der Expeditionsmitglieder am Äquator (Ecuador) und in den polnahen Regionen (Lappland), den eher nüchternen Text spannend zu gestalten.
Auf eine Eigentümlichkeit sollte aber doch hingewiesen werden: In die Handlungsstränge der zehn Kapitel sind Unterabschnitte eingeflochten, die mit "Menschen" (Kurzbiografien der Protagonisten), "Orten" (Schauplätze des Geschehens) und "Ideen" überschrieben sind. Gerade unter "Menschen" lernt man so manches Unbekannte, zum Beispiel über den Cassini-Clan, Tycho Brahe, Johannes Kepler, Snellius, Lacaille, Le Monnier.
In einer so ausführlichen Dokumentation der Landvermessung in Frankreich vermisst der Rezensent allerdings zumindest die Erwähnung von Christian Mayer, der 1757 in Paris weilte, dort die Astronomen N. L. de la Caille, P. Bouguer, J. J. de Lalande und vor allem C. F. Cassini de Thury traf, von ihnen lernte und nach seiner Rückkehr nach Mannheim mit der Vermessung der Pfalz (1762 bis 1772) begann, die in der kleinen, vorläufigen "Charta Palatina" (1773) gipfelte.
Eher für Paristouristen sind die beiden letzten Kapitel 9 und 10 gedacht, die sich mit Dan Browns Roman "Sakrileg" befassen, und die darin erwähnten Kunst- und Architekturobjekte einordnen. Die in den Boden eingelassenen ursprünglich 135 Arago-Medaillons zur Markierung des Nullmeridians über acht Kilometer Länge durch Paris fungieren als Spezialreiseführer für einschlägig Interessierte.
Ein paar Merkwürdigkeiten, die wahrscheinlich auf Übersetzungsmängel zurückzuführen sind, regen eher zum Schmunzeln an: … wenn von "Flecken" auf einem Foto (gemeint sind Schwärzungsscheibchen) die Rede ist; oder: " … die meisten Sterne gehen am östlichen Horizont auf" (S. 23); schließlich beträgt die Umlaufzeit von Komet Halley nicht 74 sondern 76 Jahre (S. 17).
Nützlich sind am Ende eine Zeittafel zur schnellen Einordnung der Ereignisse, Literaturhinweise und ein Personenregister. Empfehlen möchte ich dieses Buch allen, die an den Methoden der frühen Geodäsie interessiert sind, an den Instrumenten und Messtechniken zur Erforschung der Erdgestalt, und allen Freunden und Kennern der Landkarte Frankreichs.
Dabei schildert Paul Murdin sehr detailliert die Vermessungsarbeiten für den Meridian. Er ging aus vom Observatorium durch die Hauptstadt nach Süden und nach Norden. Der Leser wird geradezu überhäuft mit topografischen Zielpunkten wie Ortschaften, Kirchtürmen, Windmühlen, Bergspitzen und anderen markanten Plätzen, die deutlich über die Umgebung an Höhe hinausragen (der Leser muss schon ein intimer Kenner Frankreichs sein, um all diese Touren "genießen" zu können…). Aber die Feldarbeit der Vermessungstrupps kann viel anders wohl nicht beschrieben werden.
Technische Hilfsmittel dieser frühen Geodäsie waren schwergewichtige Quadranten und Sextanten, die mühsam über örtliche Hindernisse, wie Flüsse und Hügel transportiert werden mussten. Nicht selten wurden die Arbeiten zudem durch Anwohner entlegener Gebiete erheblich behindert, weil diese darin unbekannte Gefahren befürchteten.
Die Bestimmung der geografischen Koordinaten Länge und Breite für möglichst viele Erdorte geschah mit Hilfe der Triangulation, bei der von den beiden Enden einer Basis bekannter Länge Peilungen (Winkelmessungen) zu einem Punkt unbekannter Koordinaten vorgenommen wurden. Einfache Gesetze der Trigonometrie führten schließlich zu den bis dahin unbekannten Koordinaten der angepeilten Orte. Ziel einer Vielzahl dieser Messungen war in erster Linie die Festlegung des Nullmeridians – in jener Zeit ein nationales Prestigeunternehmen! Darüberhinaus sollte ein dichtes Dreiecksnetz das ganze Land überziehen, um die Erstellung einer Frankreichkarte zu ermöglichen.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden Anstrengungen unternommen, den Pariser Meridian nach Süden bis Barcelona (Leiter: Méchain) und nach Norden bis Dünkirchen (Leiter: Delambre) auszudehnen. Méchain und seine Mitarbeiter gerieten dabei ins politische Spannungsfeld zwischen Frankreich und Spanien im Zuge der französischen Revolution von 1789 und kamen nicht selten in Lebensgefahr.
So bedeutend und lebenswichtig ein einheitliches Bezugssystem für die Orientierung auf der Erdoberfläche, insbesondere für die Seefahrt, auch ist: Die Gestalt der Erde beeinflusst alle einschlägigen Messungen. Zwei konkurrierende Theorien zur Erdgestalt stehen damals einander gegenüber: diejenige von Newton und die von Descartes. Zur Überprüfung und zum Vergleich der Messungen werden (von Frankreich aus) Expeditionen in pol- und äquatornahe Gegenden, nach Lappland (1734 bis 1737) und nach Ecuador (1735 bis 1744) entsandt. Geodätische Messungen der Gradlänge und Messungen der Sekunden- Pendellänge sollen zwischen beiden Theorien entscheiden. Ergebnis: Wie von Newton vorhergesagt, ist die Erde an den Polen abgeplattet!
Der Suche nach einem universellen Längenmaß (Urmeter), das alle willkürlichen Definitionen ersetzen sollte, ist ein weiteres Buchkapitel gewidmet. Ergebnis des Ringens mehrerer Kommissionen: Ein Meter ist der zehnmillionste Teil des Erd- Meridianquadranten.
Und die Situation all der Bemühungen heute: Der Greenwich-Meridian hat das französische System längst verdrängt. Ausschlaggebend war sicher die vorherrschende Stellung Englands als Seemacht und ihr vitales Interesse an der Orientierung auf den Meeren. Weltstandard für die Koordination von Zeit und Länge ist heute unangefochten Greenwich. Der Pariser Meridian bleibt aber immer ein lebendiges Stück Wissenschaftsgeschichte. Im Zeitalter der Raumfahrt führen Satellitenmessungen zu feinen Korrekturen des terrestrischen Bezugssystems, das die historischen Nullmeridiane von Paris und London inzwischen zur reinen Abstraktion werden lassen.
Im Rahmen dieser Rezension konnte bei Weitem nicht alles angesprochen werden, was an diesem Buch bemerkenswert ist. Aber ich denke, es ist dem Autor gelungen, durch die Schilderung der abenteuerlichen Erlebnisse der Expeditionsmitglieder am Äquator (Ecuador) und in den polnahen Regionen (Lappland), den eher nüchternen Text spannend zu gestalten.
Auf eine Eigentümlichkeit sollte aber doch hingewiesen werden: In die Handlungsstränge der zehn Kapitel sind Unterabschnitte eingeflochten, die mit "Menschen" (Kurzbiografien der Protagonisten), "Orten" (Schauplätze des Geschehens) und "Ideen" überschrieben sind. Gerade unter "Menschen" lernt man so manches Unbekannte, zum Beispiel über den Cassini-Clan, Tycho Brahe, Johannes Kepler, Snellius, Lacaille, Le Monnier.
In einer so ausführlichen Dokumentation der Landvermessung in Frankreich vermisst der Rezensent allerdings zumindest die Erwähnung von Christian Mayer, der 1757 in Paris weilte, dort die Astronomen N. L. de la Caille, P. Bouguer, J. J. de Lalande und vor allem C. F. Cassini de Thury traf, von ihnen lernte und nach seiner Rückkehr nach Mannheim mit der Vermessung der Pfalz (1762 bis 1772) begann, die in der kleinen, vorläufigen "Charta Palatina" (1773) gipfelte.
Eher für Paristouristen sind die beiden letzten Kapitel 9 und 10 gedacht, die sich mit Dan Browns Roman "Sakrileg" befassen, und die darin erwähnten Kunst- und Architekturobjekte einordnen. Die in den Boden eingelassenen ursprünglich 135 Arago-Medaillons zur Markierung des Nullmeridians über acht Kilometer Länge durch Paris fungieren als Spezialreiseführer für einschlägig Interessierte.
Ein paar Merkwürdigkeiten, die wahrscheinlich auf Übersetzungsmängel zurückzuführen sind, regen eher zum Schmunzeln an: … wenn von "Flecken" auf einem Foto (gemeint sind Schwärzungsscheibchen) die Rede ist; oder: " … die meisten Sterne gehen am östlichen Horizont auf" (S. 23); schließlich beträgt die Umlaufzeit von Komet Halley nicht 74 sondern 76 Jahre (S. 17).
Nützlich sind am Ende eine Zeittafel zur schnellen Einordnung der Ereignisse, Literaturhinweise und ein Personenregister. Empfehlen möchte ich dieses Buch allen, die an den Methoden der frühen Geodäsie interessiert sind, an den Instrumenten und Messtechniken zur Erforschung der Erdgestalt, und allen Freunden und Kennern der Landkarte Frankreichs.
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