Die Welt sollte ein Dorf sein
Kann ein kleines, abgelegenes Kaff im Nirgendwo der kolumbianischen Llanos der Welt zeigen, wie sich Ökologie und Ökonomie versöhnen lässt? Glaubt man Alan Weisman – Autor des Bestsellers "Die Welt ohne uns" –, dann sollte Ingenieuren, Politikern und allen anderen auch das kleine Dorf Gaviotas ein leuchtendes Beispiel sein
Fernab der großen Metropolen des südamerikanischen Landes trotzt es seit 1971 den unwirtlichen Bedingungen der Llanos, einer Savannenlandschaft, in der während der einen Hälfte des Jahres sintflutartige Niederschläge auf die ausgelaugten Böden herunterprasseln und in der anderen Zeit die Sonne gnadenlos vom Himmel brennt. Das Dorf überstand die Bürgerkriegswirren, die den Rest des Staats jahrzehntelang blutig überzogen, ohne Verlust als neutrale Friedenszone, in der Waffen verboten waren – für Militär wie für Guerilla gleichermaßen. Und es umschiffte immer wieder logistische und finanzielle Probleme, die andere Gemeinden vielleicht in eine Abwärtsspirale ins Elend gerissen hätte.
Zu verdanken hat dies die kleine Gemeinde aus zugezogenen Ingenieuren, Künstlern und ehemaligen Straßenkindern sowie einheimischen Llaneros dem Geschick ihrer Organisatoren – allen voran Paolo Lugari – und dem Erfindungsreichtum der Bewohner: Mit Hilfe begrenzter Mittel entwickelten die Techniker Solarthermie, Wasserpumpen und andere Gerätschaften so weiter, dass sie auch unter ärmlichen Bedingungen und mit geringem finanziellen Aufwand als optimale Lösung für Probleme der Entwicklungsländer funktionieren konnten.
Mithilfe von Lowtech-Erfindungen konnten die Gavioteros sauberes und warmes Wasser in viele Teile des Landes bringen, die zuvor auf schmutziges Flusswasser zum Waschen und Trinken angewiesen waren. Ganze Hoch- und Krankenhäuser wurden mit in Gaviotas (weiter)entwickelten Solarkollektoren ausgestattet, die selbst bei bedecktem Himmel noch genügend Warmwasser für die Bewohner lieferten und so fossile Brennstoffe fast überflüssig machten. Zu den Glanzleistungen zählen vor allem eine neue Pumpe, die mit geringem technischem und energetischem Aufwand Trinkwasser aus tiefen Erdschichten als normalerweise möglich nach oben bringt, und ein neu konstruiertes Windrad, das selbst unter windarmen innertropischen Bedingungen Elektrizität produziert.
In Zeiten billigen Öls reichen die Einnahmen aus dem Verkauf der Geräte aber nicht aus, um die Gemeinde finanziell am Leben zu erhalten. Deshalb suchen die Gavioteros stets nach neuen Erwerbszweigen, mit denen sie ihr Auskommen sichern können, ohne der Umwelt zu schaden. Als alternative Geldquelle entdeckten sie schließlich die Karibische Kiefer, deren Harz ein begehrtes Grundmittel für die chemische Industrie liefert, und pflanzten Millionen Bäume davon in der Savanne an – deren Böden eigentlich als zu arm und sauer für die Nadelbäume galten.
Heute wachsen auf mehr als 8000 Hektar nicht nur die Kiefern: Unter dem Nadeldach entsteht ein neues natürliches Ökosystem mit zahlreichen Arten des Amazonasregenwalds. Offensichtlich hatten die Samen im Boden die Jahrhunderte überdauert, in denen Menschen immer wieder mit Feuer hantiert hatten. Oder Vögel trugen die Pflanzen in ihren Mägen aus dem Amazonasbecken ein. Der Wald änderte womöglich auch das lokale Klima, das nun ausgeglichener und noch etwas regenreicher ist – und fördert damit den zweiten wichtigen Erwerbszweig des Dorfs: den Verkauf von Mineralwasser, das landesweit abgesetzt wird.
All dies hat Alan Weisman mitreißend geschrieben, und man möchte eigentlich sofort aufbrechen, um das Dorf und seine liebenswürdigen Idealisten mit eigenen Augen zu sehen. Bei vielen der beschriebenen Ideen wünscht man sich, dass sie endlich weiter verbreitet würden und die "Dritte Welt" mit sauberer Energie und sauberem Wasser versorgen.
Hier mangelt es dem Buch allerdings auch etwas an journalistischer Recherche: Was halten andere Experten von den Erfindungen Gaviotas? Was sagen Ökologen zum Anbau eingeführter Exoten wie der Kiefer? Was halten sie von der These zur Rückkehr des Regenwalds? Hierzu wünscht man sich eigentlich deutlich mehr Informationen. Manches davon ist sicherlich dem Fakt geschuldet, dass das Buch schon 1998 auf Englisch erschienen ist und erst jetzt übersetzt wurde. Immerhin: Ein Nachspann skizziert die Entwicklung des letzten Jahrzehnts.
Insgesamt ist das Buch aber dennoch empfehlenswert. "Gaviotas" liefert nicht nur ein leuchtendes Beispiel für sinnvolle Entwicklung, sondern enthält auch viel Lesenswertes über Kolumbien: ein Land, das mit natürlichen Reichtümern gesegnet ist und offensichtlich über ein erstklassiges Hochschulwesen verfügt, aber immer noch unter Jahrzehnten der Gewalt und Verbrechen durch linke Guerilla, rechte Paramilitärs, offizielle staatliche Militärs und Drogenmafia leidet. Unbeschadet durch all diese Verwerfungen und Gewalt zu kommen und dabei immer noch an einer besseren Welt zu basteln, sollte vielleicht ein kleiner Ansporn für uns alle sein, dieses Ziel ebenfalls anzusteuern.
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