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Vertrautes Grenzgebiet

Haben Sie kurz Zeit? Dann beschäftigen Sie sich doch mal mit ihr. Denn die Zeit ist ein mysteriöses Phänomen. Nach unserem Empfinden kann sie sich dehnen wie Kaugummi oder aber schnell davonlaufen. Sie ist eine unveränderliche Grundlage unseres Erlebens und doch schwer in Worte zu fassen. Versucht hat das nun der Freiburger Biologe Marc Wittmann. Mit diesem Buch liefert er einen kurzen Überblick über den Stand der Forschung zum Zeitempfinden.

Warten auf den Bus, schwelgen in Erinnerungen, älter werden: Der Autor schöpft aus einem schier unendlichen Pool an Alltagserfahrungen, denn in jeder Lebenssituation begleitet uns unweigerlich der Takt einer äußeren und einer inneren Uhr. Mit den Gedanken bekannter Philosophen sowie kuriosen Begebenheiten und Studien gibt Wittmann einen Überblick über die verschiedenen Aspekte der Zeit. Würden Sie sich zum Beispiel in einen stockdunklen Wassertank legen, ohne etwas zu hören, zu sehen oder zu riechen, um zu erfahren, wie lang sich eine Stunde ohne Sinneseindrücke anfühlt? Genau das tat in den 1980er Jahren der Neuropsychologe John Lilly. Er stellte fest, dass Personen im "Isolationstank" zwar noch ein Zeitgefühl besitzen, es sich aber von einem regelmäßigen Taktgeber stark unterscheiden kann. Eines von vielen Indizien, die Wittmann anführt, um seine zentrale These zu untermauern: Das Zeitempfinden ist subjektiv.

Etliche andere Forschungsergebnisse, die der Autor vorstellt, werden den Leser wohl nicht allzu sehr überraschen. Und genau das ist Wittmanns größtes Problem: Jeder Leser hat zwangsläufig sein Leben lang Erfahrungen mit der Zeit gesammelt. Hinzufügen kann man dem also nur Erklärungen oder Beweise, keine verblüffenden oder ganz und gar unbekannten Phänomene.

Auch vom Anspruch, allgemein gültige Wahrheiten zur inneren Uhr zu erfahren, kann der Leser sich getrost verabschieden, denn viele Aspekte des Zeitempfindens sind auch Forschern noch ein Rätsel. So fehlen bei der Lektüre manchmal die Höhepunkte, zumal der Autor sich selten zu praktischen Schlussfolgerungen hinreißen lässt. Stellenweise gerät das Buch deshalb zu einer Aneinanderreihung von Studien und Beispielen  die Schlüsse muss der Leser allein ziehen.

Trotzdem lohnt die Lektüre. Wittmanns gut recherchierter Rundumschlag liefert eine unterhaltsame Grundlage für eigene Überlegungen und hilft dabei, unser Zeitempfinden genau zu beobachten und auch ein wenig besser zu verstehen. Noch dazu vergeht beim Lesen so manche Wartezeit schneller.

  • Quellen
Gehirn und Geist 12/2012

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