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Wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut

Bücher, die einem breiten Publikum die Erkenntnisse der Neurowissenschaften auf verständliche Weise näherbringen wollen, haben seit Jahren Hochkonjunktur. Ein weit gehend gelungenes Beispiel dieser Gattung stellt der vorliegende Band dar – der übrigens trotz gleich lautenden Titels mit dieser Zeitschrift weder verwandt noch verschwägert ist. In ihrem neuen Buch zeigt die britische Wissenschaftsjournalistin Rita Carter auf, wie Verhalten und Erleben des Menschen durch neuronale Prozesse determiniert sind.

Ausgehend von tief im Inneren des Gehirns liegenden Arealen wie dem limbischen System, das für die emotionale Verarbeitung von Informationen zuständig ist, dringt die Autorin bis in jene höheren Hirnregionen vor, die mit Funk­tionen wie Gedächtnis und Sprache verbunden sind. Um dabei die Abhängigkeit des menschlichen Geistes von seinem biologischen Substrat zu demonstrieren, wählt sie neurologische und psychiatrische Erkrankungen aus, denen nachweislich Störungen im Gehirn zu Grunde liegen.

Spannend sind beispielsweise die Fälle jener Patienten, bei denen Ärzte die Verbindung zwischen der rechten und linken Gehirnhälfte aus medizinischen Grün­den trennten. Bei manchen von ihnen führte das dazu, dass die rechte Hand Jackenknöpfe zu schließen versuchte, während die linke sie gleich wieder öffnete. Mit solchen Beispielen gelingt es Carter, anschaulich darzustellen, wie das Gehirn funktioniert und wie es unser Verhalten beeinflusst.

Das Problem ist allerdings, dass die Autorin bei der Interpretation der empirischen Befunde des Öfteren die nötige Vorsicht vermissen lässt. So versteigt sie sich etwa zu der Aussage, dass der für die Handlungssteuerung wichtige anteriore zinguläre Kortex "eines der Areale [sei], die offenbar das ›Ich‹ beherbergen, das wir in uns spüren". Dabei ist diese Interpretation jedoch nicht nur aus philosophischer Sicht äußerst spekulativ, sondern ignoriert auch den aktuellen Stand der empirischen Forschung, der zufolge Bewusstsein die gleichzeitige Aktivität von vielen über das ganze Gehirn verteilten Arealen voraussetzt.

In ähnlicher Weise macht sie sich kritiklos die umstrittene Theorie zu eigen, wonach Autismus eine extrem ausgeprägte Form der "männlichen" Gehirnfunktion darstelle. So beeindruckend Carters Detailkenntnis häufig auch ist, so entscheidet sie sich doch häufig für die spektakulärste und nicht für eine seriöse Interpretation der Befunde.

Trotzdem breitet das Buch die Zusammenhänge zwischen neuronalen Prozessen und Verhalten wie eine kunstvoll gezeichnete Landkarte vor dem Leser aus. Vor allem Laien, die einen gut verständlichen und zugleich fundierten Überblick über das Gehirn suchen, ist diese Lektüre ans Herz zu legen.

  • Quellen
Gehirn & Geist 5/2012

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