Leichter Zweifel am gesunden Zweifel
"Es ist ein kalter Tag, dieser Mittwoch im Januar 2010. In Berlin fällt leichter Schnee. Fünf Männer, ranghohe Vertreter des deutschen Gesundheitswesens, beugen sich über ein Gutachten von Wirtschaftsprüfern. Es sind die Reisekosten von Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz, IQWiG."
So beginnt das Buch der Journalistin Ursel Sieber, das sich auch im Folgenden wie ein Krimi liest. Dabei ist gerade bei den Vorkommnissen, die sie beschreibt, Sachlichkeit angesagt, denn kurze Zeit später am 31. August 2010 musste Peter Sawicki seinen Chefposten am IQWiG räumen – Sieber schildert die Hintergründe dieses Abgangs. Offiziell wurde Sawickis Vertrag wegen eines formalen Fehlers nicht verlängert, inoffiziell hatte er sich – so Ursula Sieber – als unbequemer Kritiker der Pharmakonzerne einen Namen gemacht, was ihm letztlich zum Verhängnis geworden sein könnte.
Das IQWiG hat die Aufgabe, Medikamente und Therapien auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Als Sawicki seine Arbeit beginnt, ist sein erklärtes Ziel, die evidenzbasierte Medizin zu etablieren, das heißt Methoden und Arzneimittel auf ihren wissenschaftlich nachgewiesenen Nutzen zu überprüfen. Das IQWiG wurde 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung gegründet. Denn die Gesundheitspolitiker hegten den Verdacht, dass die Pharmaindustrie teure, aber überflüssige Medikamente auf den Markt bringen und die Krankenkassen hierfür zahlen lasse.
Das mag teilweise stimmen. Ob dies aber in dem Ausmaß geschieht, wie Sieber beschreibt, darf bezweifelt werden. Stimmt es wirklich, dass jedes zweite neue Medikament nur teurer, aber nicht besser als die herkömmlichen ist und oft sogar schadet? Immerhin muss ein Medikament ein kompliziertes Zulassungsverfahren mit zahlreichen Studien durchlaufen, bevor es auf den Markt gelangt. In der Europäischen Union gibt es die European Medicines Agency, die eine laufende Bewertung und Überwachung aller Human- und Tierarzneimittel koordiniert. Bei ihrer Arbeit nutzt sie alle Erkenntnisse der nationalen Arzneimittelbehörden von 30 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der EWR-Staaten. Stehen alle Mitarbeiter der European Medicines Agency unter dem Druck der Pharmaindustrie?
Haben die Zulassungsbehörden beim Kunstinsulin Lantus (auch Insulin glargin genannt) wirklich versagt? Warum lernen angehende Ärzte dann, dass sein Wirkprofil besonders gleichmäßig und lang ist und Unterzuckerungszustände selten sind, wie Klaus Aktories und seine Kollegen im Buch "Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie" aus dem Jahr 2009 auflisten? Und was ist mit den Sartanen, die zur Behandlung des Hochdrucks gegeben werden? Hier führen zum Beispiel Ernst Mutschler und Co in "Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie" (2008) an, dass Sartane therapeutisch wertvoll sind. Immerhin blockieren Sartane im Gegensatz zu den ACE-Hemmern selektiv den AT1-Rezeptor, der für die Blutdruckerhöhung verantwortlich ist.
Selbstverständlich kann man die Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen dadurch abbremsen, dass man die Einführung teurer Medikamente verhindert und die alten weiterhin gibt. Dies nützt den Krankenkassen sicherlich. Ob es aber immer für die Patienten von Vorteil ist, muss zumindest in einigen Fällen bezweifelt werden.
Es ist wie so vieles eine Frage des Geldes. Immerhin werden Arzneimittelstudien zu 80 Prozent von Pharmaunternehmen finanziert, die zweifelsohne ein großes Interesse haben, dass ihr teuer gesponsertes Präparat auf den Markt kommt und sich dort durchsetzt. Dies darf man den Pharmaunternehmen aber nicht zum Vorwurf machen: Sie gingen pleite, wenn sie anders denken würden.
Also muss man das System ändern, wenn man Verbesserungen wünscht. Hier hat Sieber keine wirksamen Lösungen parat. Pharmafirmen sollen in einen Fond einzahlen, aus dem unabhängige Forschung finanziert wird. Es ist davon auszugehen, dass sich die Pharmafirmen dann noch weiter aus Deutschland zurückziehen, als sie dies bisher schon getan haben. Dies hätte zur Folge, dass hierzulande so gut wie gar nicht mehr geforscht wird. Und die meisten Krankenkassen sind auch nicht bereit, in einen solchen Fond zu zahlen. Sponsoren gibt es bisher keine. Eine Lösung der Problematik ist somit nicht in Sicht.
Ursula Sieber hat ein spannendes Buch geschrieben, das viele Hintergründe von Sawickis Abgang ans Licht bringt. Allerdings gibt das Buch nur eine Perspektive wieder, ihre Darstellung ist also mindestens unvollständig.
(gegen den Verkauf des Buchs ist eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg ergangen. Das Buch ist aber weiterhin im Handel. Die Autorin Ursula Sieber wurde mittlerweile auch mit dem Ernst-Schneider-Preis für Wirtschaftsjournalismus wegen ihres Buchs ausgezeichnet. Anm. d. Red.)
So beginnt das Buch der Journalistin Ursel Sieber, das sich auch im Folgenden wie ein Krimi liest. Dabei ist gerade bei den Vorkommnissen, die sie beschreibt, Sachlichkeit angesagt, denn kurze Zeit später am 31. August 2010 musste Peter Sawicki seinen Chefposten am IQWiG räumen – Sieber schildert die Hintergründe dieses Abgangs. Offiziell wurde Sawickis Vertrag wegen eines formalen Fehlers nicht verlängert, inoffiziell hatte er sich – so Ursula Sieber – als unbequemer Kritiker der Pharmakonzerne einen Namen gemacht, was ihm letztlich zum Verhängnis geworden sein könnte.
Das IQWiG hat die Aufgabe, Medikamente und Therapien auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Als Sawicki seine Arbeit beginnt, ist sein erklärtes Ziel, die evidenzbasierte Medizin zu etablieren, das heißt Methoden und Arzneimittel auf ihren wissenschaftlich nachgewiesenen Nutzen zu überprüfen. Das IQWiG wurde 2004 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung gegründet. Denn die Gesundheitspolitiker hegten den Verdacht, dass die Pharmaindustrie teure, aber überflüssige Medikamente auf den Markt bringen und die Krankenkassen hierfür zahlen lasse.
Das mag teilweise stimmen. Ob dies aber in dem Ausmaß geschieht, wie Sieber beschreibt, darf bezweifelt werden. Stimmt es wirklich, dass jedes zweite neue Medikament nur teurer, aber nicht besser als die herkömmlichen ist und oft sogar schadet? Immerhin muss ein Medikament ein kompliziertes Zulassungsverfahren mit zahlreichen Studien durchlaufen, bevor es auf den Markt gelangt. In der Europäischen Union gibt es die European Medicines Agency, die eine laufende Bewertung und Überwachung aller Human- und Tierarzneimittel koordiniert. Bei ihrer Arbeit nutzt sie alle Erkenntnisse der nationalen Arzneimittelbehörden von 30 Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der EWR-Staaten. Stehen alle Mitarbeiter der European Medicines Agency unter dem Druck der Pharmaindustrie?
Haben die Zulassungsbehörden beim Kunstinsulin Lantus (auch Insulin glargin genannt) wirklich versagt? Warum lernen angehende Ärzte dann, dass sein Wirkprofil besonders gleichmäßig und lang ist und Unterzuckerungszustände selten sind, wie Klaus Aktories und seine Kollegen im Buch "Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie" aus dem Jahr 2009 auflisten? Und was ist mit den Sartanen, die zur Behandlung des Hochdrucks gegeben werden? Hier führen zum Beispiel Ernst Mutschler und Co in "Arzneimittelwirkungen: Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie" (2008) an, dass Sartane therapeutisch wertvoll sind. Immerhin blockieren Sartane im Gegensatz zu den ACE-Hemmern selektiv den AT1-Rezeptor, der für die Blutdruckerhöhung verantwortlich ist.
Selbstverständlich kann man die Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen dadurch abbremsen, dass man die Einführung teurer Medikamente verhindert und die alten weiterhin gibt. Dies nützt den Krankenkassen sicherlich. Ob es aber immer für die Patienten von Vorteil ist, muss zumindest in einigen Fällen bezweifelt werden.
Es ist wie so vieles eine Frage des Geldes. Immerhin werden Arzneimittelstudien zu 80 Prozent von Pharmaunternehmen finanziert, die zweifelsohne ein großes Interesse haben, dass ihr teuer gesponsertes Präparat auf den Markt kommt und sich dort durchsetzt. Dies darf man den Pharmaunternehmen aber nicht zum Vorwurf machen: Sie gingen pleite, wenn sie anders denken würden.
Also muss man das System ändern, wenn man Verbesserungen wünscht. Hier hat Sieber keine wirksamen Lösungen parat. Pharmafirmen sollen in einen Fond einzahlen, aus dem unabhängige Forschung finanziert wird. Es ist davon auszugehen, dass sich die Pharmafirmen dann noch weiter aus Deutschland zurückziehen, als sie dies bisher schon getan haben. Dies hätte zur Folge, dass hierzulande so gut wie gar nicht mehr geforscht wird. Und die meisten Krankenkassen sind auch nicht bereit, in einen solchen Fond zu zahlen. Sponsoren gibt es bisher keine. Eine Lösung der Problematik ist somit nicht in Sicht.
Ursula Sieber hat ein spannendes Buch geschrieben, das viele Hintergründe von Sawickis Abgang ans Licht bringt. Allerdings gibt das Buch nur eine Perspektive wieder, ihre Darstellung ist also mindestens unvollständig.
(gegen den Verkauf des Buchs ist eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg ergangen. Das Buch ist aber weiterhin im Handel. Die Autorin Ursula Sieber wurde mittlerweile auch mit dem Ernst-Schneider-Preis für Wirtschaftsjournalismus wegen ihres Buchs ausgezeichnet. Anm. d. Red.)
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