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Ausgeburten des Grauens

Physische Gewalt gehört zum menschlichen Verhaltensrepertoire, sie ist – mit den Worten des deutschen Soziologen Heinrich Popitz (1925-2002) – "eine Option menschlichen Handelns, die ständig präsent ist". So auch in der Antike, wo Gewalt in Text und Bild oft in voyeuristischer Detailversessenheit dargestellt wurde. Doch wie sind diese Ausdrucksformen zu deuten? Welche Intention steckt dahinter? Was sagen die damaligen Gewaltdarstellungen über die jeweiligen Kulturen aus? Solchen Fragen geht das aufschlussreiche Buch des Münchner Althistorikers Martin Zimmermann nach.

Als Meister der Grausamkeit gelten die Assyrer. Wortreich rühmten sich ihre Könige des grässlichen Umgangs mit den Feinden: "Einige ließ ich pfählen und ausweiden, andere schinden und überzog mit ihren Häuten die Stadtmauern", frohlockte Assurnasipal (883-859 v. Chr.), der diese bestialischen Gräueltaten auch gleich – für jeden sichtbar – in lebensgroßen Reliefs an den Außenwänden seines Palasts dokumentieren ließ. Nicht minder zimperlich gingen die persischen Großkönige mit ihren Feinden um: Verrätern ließen sie geschmolzenes Metall in Ohren und Mund gießen, schnitten ihnen Ohren und Nasen ab oder stachen ihnen die Augen aus. Besonders bestialisch war die Hinrichtungsart des "In-den-Trog-Setzens", bei der man den Verurteilten solange in einen Holzbottich steckte, bis er in seinen eigenen Exkrementen schwamm und bei lebendigem Leib verweste.

Von Phalaris, dem Tyrannen der griechischen Kolonie Akragas von 570 bis 555 v.Chr., wird berichtet, er habe einen Stier aus Bronze herstellen lassen. Zum Tode Verurteilte habe er im Innern der Hohlplastik einsperren lassen, während unter deren Bauch ein Feuer entfacht worden sei. Die Schreie der qualvoll Sterbenden seien durch den Schlund des Stiers nach außen gedrungen und der Tyrann habe sie wie Musik genossen.

Den Leser machen derart scheußliche Gewaltdarstellungen sprachlos. Doch lehrt uns Zimmermann, dass man solche Berichte nicht unbedingt für bare Münze nehmen darf, da sie oft stark überzeichnet seien und als "Zeugnisse realer Gewalt" nicht taugten. Die mediale Wiedergabe von Gewalt in Text und Bild sei nie eine bloße Abbildung des Geschehens gewesen, sondern stelle immer ein "mit weiteren Konnotationen angereichertes Narrativ" dar. Wenn also der Grieche Herodot die Perser als unzivilisierte grausame Barbaren beschreibt oder der Römer Sueton Kaiser Tiberius als perverses Scheusal darstellt, das jungen Männern die Harnröhre zuschnüren und hernach Unmengen Wein einflößen ließ, so sei das "mit übelsten Unterstellungen arbeitende Geschichtsklitterung". So gesehen war wohl auch Phalaris ein Opfer böswilliger Diffamierung, zumal es eine ganze Reihe von tyrannenfeindlichen Berichten gibt, die wegen ihres stereotypen Charakters in der Forschung als vorgeprägtes Motiv (Topos) entlarvt wurden.

Für Zimmermann ist die Art, wie in der Antike über Grausamkeit und Brutalität kommuniziert wurde, ein zentraler Schlüssel zum Verständnis der Kulturen. Offenbare doch gerade "die mediale Verständigung über Gewalt zeit- und kulturspezifische Regeln und Ordnungsmuster".

Oft hatte die Visualisierung von Gewalt symbolischen Charakter. So ist das auf zahlreichen ägyptischen Tempelwänden anzutreffende Motiv des "Schlagen des Feindes", bei dem der Pharao gleich mehrere Kontrahenten beim Schopf packt und mit der Keule erschlägt, eindeutig in den Bereich der Herrscherideologie zu verweisen. Mit dieser magischen Vernichtung des Gegners sollte der ägyptische König als Sieger präsentiert werden – und somit auch seine Befähigung, als Stellvertreter des Sonnengottes auf Erden über das Pharaonenreich zu gebieten.

Erfolgreiche Gewaltausübung als Zeichen von Macht und Können war auch das Leitmotiv der leichenübersäten Reliefdarstellungen der Assyrer. Doch verfolgten die Herren von Ninive noch eine andere Intention. Die in Stein gemeißelten Horrorszenarien sollten die Untertanen das Fürchten lehren: Terrorbilder als Erziehungsinstrument. Ein Machtmittel, das auch die persischen Großkönige anwendeten, um das Volk zu disziplinieren.

Martin Zimmermans Studie über die dunkle Seite der Antike ist ein nicht gerade appetitliches, aber lesenswertes Buch. Es reflektiert sehr anschaulich die unterschiedlichen Ausdrucksformen von Gewalt, beleuchtet die dahinter stehenden "mentalen Dispositionen" und mahnt gleichzeitig zu einem kritischen Umgang mit antiken Überlieferungen, die wir heute allzu oft nach modernen Wertmaßstäben beurteilen.

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