Anrüchige Wissenschaft
Nicht immer sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung wirklich eine Hilfe für die Menschheit. Manche werden dennoch nicht vergessen. Auch für Errungenschaften, die "nicht reproduziert werden können oder sollten" gibt es eine Ehrung: den Ig-Nobel-Preis. Marc Abrahams hat sich die Mühe gemacht, in seinem Buch einen Überblick über die Preisträger aus den letzten zehn Jahre zu geben.
Einmal im Jahr findet an der ehrwürdigen Harvard-Universität eine Parodie auf die Verleihung des Nobelpreises statt. Die Preisträger sind gehalten, in möglichst fantasievollen Kostümen aufzutreten. Wenn möglich, empfangen sie die Urkunde, die jedes Jahr neu gestaltet wird, aus der Hand eines echten Nobelpreisträgers, während das reichlich tausendköpfige Publikum sie mit Papierfliegern bewirft – in solcher Menge, dass eigens zwei Assistenten fürs Wegräumen angagiert werden müssen. Aber für welche Leistungen wird denn der Preis vergeben? Offiziell für Errungenschaften, die "nicht reproduziert werden können oder sollten". Das Buch ist als eine Art Hitliste der in den letzten zehn Jahren vergebenen Preise zu verstehen; und danach zu urteilen, wird die Vergabevorschrift sehr lose interpretiert. Schon recht: Wissenschaft, die einfach nur schlecht ist und deshalb nicht weiter betrieben werden sollte, gibt es zuhauf. Dafür einen Preis zu vergeben wäre angesichts der Masse an Kandidaten äußerst mühsam. Also muss es schon eine bemerkenswert schlechte Leistung sein. Daher der Wirtschafts-Ignobelpreis an Nick Leeson, der mit seinen milliardenschweren, missratenen Spekulationen eine ganze traditionsreiche Bank in den Ruin trieb; oder der Friedenspreis an den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac für den Versuch, mit Atombombentests den Weltfrieden zu befördern. Diese Preisträger wohnen typischerweise der feierlichen Verleihung nicht bei (allerdings war Nick Leeson durch vorrangige, langfristige Verpflichtungen in einem britischen Gefängnis entschuldigt). In der bunten Mischung aus Merkwürdigem und (mehr oder weniger) Scherzhaftem, die das Buch anbietet, sind solche satirischen Stücke allerdings eher die Minderheit. Auch der Spott über esoterischen Unfug (Hühner produzieren das Kalzium in ihren Eierschalen durch Transmutation von Elementen, Wasser hat ein Gedächtnis für Substanzen, die einmal darin gelöst waren) hält sich in Grenzen. Vorherrschend sind Berichte über Unappetitliches, Unanständiges oder beides zugleich. Immer wieder gerne erzählt Abrahams die Geschichte von dem Seemann, der sich auf hoher See, meilenweit entfernt von jedem weiblichen Wesen, den Tripper holte ? von der ungewaschenen Gummipuppe des Kollegen. Eine Befragung indischer Jugendlicher über ihre Nasebohrgewohnheiten ist ohne Zweifel ziemlich belanglos. Wer will schon wissen, dass 85 Prozent der Befragten es tun, aber erstaunlich wenige, nämlich nur 4,5 Prozent, das zutage Geförderte auch verzehren? Aber sie schadet auch nicht. Was spricht gegen eine Wiederholung? Das ist bei jenem unerschrockenen Wissenschaftler schon anders, der sich die Milben seiner Katze ins eigene Ohr setzte, zwei Wochen unter unerträglichem Jucken litt ? und das Experiment wiederholte, wegen der Reproduzierbarkeit. Einige Geschichten sind noch nicht einmal lustig, wie die vom Tod durch fallende Kokosnüsse, oder von dem Mann, dessen nach einer Verletzung eiternder Finger nicht heilen wollte, sondern jahrelang einen bestialischen Gestank verströmte. Manche Leute haben sich mit einer schieren Literaturarbeit einen Ignobelpreis verdient, zum Beispiel mit einem Verzeichnis der sperrigen Gegenstände, die unerschrockene Mediziner in aller Welt aus dem Darmausgang ihrer Patienten entfernen mussten: neben einer Kerze, einem Schraubenzieher und einer Zahnbürste immerhin drei Kuhhörner und sieben Glühbirnen. Wenn aber ein Forscher in Groningen (Niederlande) ein Paar darum bittet, den Geschlechtsakt in der Röhre eines Magnetresonanztomografen zu vollziehen, und auf diese Weise gänzlich neue Bilder der menschlichen Anatomie gewinnt, dann ist das vielleicht eng und unerotisch, aber warum sollte es nicht reproduziert werden? Wenn's der Wahrheitsfindung dient - In einer Geschichte gibt es, immerhin, ein happy end: Dem Manne mit dem Stinkefinger konnte geholfen werden.
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