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Auf den Punkt gebracht

Vor knapp zwei Jahren entbrannte um Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" eine Debatte rund um die Erblichkeit geistiger Fähigkeiten. Wird Intelligenz größtenteils von den Genen bestimmt, oder kann doch jeder mit der nötigen Nachhilfe ein kluger Kopf werden? Aus wissenschaftlicher Sicht ließ die Qualität dieser Diskussion erheblich zu wünschen übrig, fand der Journalist und Schriftsteller Dieter E. Zimmer. Das motivierte ihn dazu, der Frage in einem Buch auf den Grund zu gehen. Sein Fazit: "Ja, Intelligenz ist in hohem Maße erblich!"

Das wissenschaftliche Fundament, auf das er diese Aussage gründet, ist kein geringeres als das der gesamten modernen Intelligenzforschung seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Von der Entwicklung des ersten IQ-Tests bis zu den neuesten Pisa-Studien gibt Zimmer einen umfassenden Einblick in die Suche nach den Wurzeln unseres Intellekts und wägt dabei unzählige Studien gegeneinander ab. Wie nebenbei lernen methodisch weniger beschlagene Leser Grundsteine der Psychologie und der Verhaltensgenetik kennen, darunter mathematische Verfahren wie die Faktorenanalyse und allen voran das zentrale Konzept der Erblichkeit: "Was bedeutet nun aber die Aussage, die Intelligenz sei zu 75 Prozent erblich? Sie bedeutet […], dass nicht die Intelligenz selbst, sondern die in einer Gruppe gemessenen Intelligenzunterschiede zu 75 Prozent auf unterschiedliche Gene zurückgehen." Erblichkeit lasse keine Rückschlüsse auf den einzelnen Menschen zu.

Ein Blick ans Ende des Buchs zeigt, dass es sich nicht nur für Laien um eine lohnenswerte Lektüre handelt. Hier finden sich zirka 300 Literaturangaben sowie zwei Anhänge, die methodische Details unter die Lupe nehmen. Ein Beispiel: Eineiige Zwillinge ähneln sich stärker im IQ als zweieiige. Forscher schließen daraus auf eine hohe Erblichkeit. Das macht aber nur dann Sinn, wenn man davon ausgeht, dass "Eltern, Lehrer (und) Altersgenossen eineiige Zwillinge nicht gleicher behandeln als zweieiige" – sonst könnte auch die Umwelt für die Unterschiede verantwortlich sein. Zimmer stellt diese Annahme auf den Prüfstand.

In der ersten Hälfte des Buchs wiederholt der ehemalige "Zeit"-Redakteur seine Kernthese vielleicht zu häufig. Doch diesen Eindruck macht die zweite Hälfte mehr als wett. Ein aufschlussreiches Kapitel über den "verbleibenden Spielraum" in der Intelligenzentwicklung widmet sich der Rolle günstiger oder ungünstiger Umweltbedingungen. Die Lebensumstände erklären demnach immerhin etwa 20 Prozent der Unterschiede in der geistigen Leistungsfähigkeit Erwachsener, und im Jugendalter machen sie sogar noch deutlich mehr aus. Mit den Ergebnissen aus Studien über schwarze Gettokinder, die von weißen Oberschichtfamilien adoptiert wurden, untermauert der Autor seine Ansicht, dass Intelligenz veränderbar ist – aber doch nur in den von den Genen gesteckten Grenzen.

Spätestens an dieser Stelle versteht der Leser, dass es dem Autor nicht darum geht, der Schulbildung oder der elterlichen Erziehung jegliche Bedeutung für den Intellekt abzusprechen. Zimmer versucht lediglich, auf wissenschaftlicher Basis zu beschreiben, was veränderbar ist und was nicht. Das gelingt ihm ausgezeichnet, nicht zuletzt auf Grund seiner journalistischen Erfahrung. Denn trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Befunde, in denen er sich leicht in Details hätte verlieren können, versteht er es blendend, dem Leser nicht nur ein rundes Bild zu vermitteln, sondern ihn dabei auch noch zu unterhalten.

  • Quellen
Gehirn & Geist 5/2012

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