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Psychohygiene im Alltag

Müde dreinblickende Bürosklaven schleppen sich durch ihren grauen Computer-Alltag, die Gräben zwischen den Kollegen schlucken jedes Lachen, und das zarte Pflänzchen der Motivation trocknet neben dem Fikus vor sich hin. Dies ist keine Schreckensvision der Zukunft, sondern bereits Realität, glaubt man Manfred Stelzig.

Deshalb empfiehlt der Psychiater in seinem neuen Ratgeber, regelmäßig etwas für die Seele zu tun. Er analysiert 20 psychische Phänomene, die uns daran hindern, glücklich zu sein: vom Aberglaube bis zur Angst vor dem Tod. Im Plauderton schildert er Übungen für Psychohygiene im Alltag – zum Beispiel, das eigene Bett als schützende Höhle zu empfinden. Im Büro solle man sich eine "Wohlfühlschublade" anlegen mit Fotos vom letzten Urlaub oder lieben Freunden, bei deren Anblick die innere Batterie wieder aufgeladen werde.

Zunächst lässt er offen, was Glück ist, definiert es aber in späteren Kapiteln anhand seiner Übungen unter anderem als Selbstvertrauen, Zuversicht und "sich selbst genug zu sein".

Im Anhang zählt Stelzig dann 88 Tipps für seelische Gesundheit auf, unter denen sich neben brauchbaren Methoden zum Stressabbau und Aufheitern auch fromme Weisheiten und mal befremdliche, mal unfreiwillig komische Anspielungen auf Klischees befinden – etwa: "Schenken Sie sich manchmal Blumen, auch wenn Sie ein Mann sind." Überhaupt hält sich Stelzig zu oft mit möglichen Ängsten und Vorurteilen seiner Leserschaft auf: Nicht jeder kommt sich bei dem Gedanken, sein Kopfkissen zu umarmen, automatisch komisch vor.

Das Unglück als ein Problem aufzufassen, für das es eine Lösung gibt, ist eines der Verdienste Stelzigs. Seine pauschalen Urteile darüber, wie im Grunde "jeder Mensch" fühle, sind jedoch etwas zu einfach gestrickt: Sie setzen einen seelischen Normalzustand voraus, von dem man nicht abweichen soll. Heikel ist außerdem seine Behauptung, überall auf der Welt bestehe dieselbe Meinung darüber, was eine gute Mutter oder ein guter Vater sei. Denn der Versuch, den Klischeevorstellungen einer heilen Familie gerecht zu werden, scheitert nahezu zwangsläufig.

Im zweiten Teil des Buchs singt Stelzig ein Loblied auf Psychopharmaka. An die Stelle des negativ besetzten Begriffs "Depression" will er gar den Ausdruck "Serotoninmangel- Syndrom" setzen. Ein kurzer Exkurs in die Chemie des Gehirns macht den Leser mit Neurotransmittern wie Dopamin und Azetylcholin sowie ihrer Bedeutung in der Psychologie der Emotionen bekannt, doch viel mehr bietet der Autor dazu nicht. Und auch die zwei Textseiten zum Phänomen des "Bauchhirns" gehen über die Feststellung, dass manche Tragödie buchstäblich "auf den Magen schlägt", kaum hinaus. Eine Literaturliste gibt immerhin weitere Anhaltspunkte.

Zu empfehlen ist dieses Buch all jenen, die ähnliche Leidenswege beschreiten wie die Patienten aus Stelzigs psychiatrischer Praxis. Für den Umgang mit einer Kündigung oder einer gescheiterten Beziehung, für Motivationstiefs und Selbstwertprobleme etwa gibt er eine Menge brauchbarer Anstöße.
  • Quellen
Gehirn und Geist 11/2008

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