Faszinierende Mikrowelt
Ohne sie gäbe es weder Brot, Käse noch Wein. Und auf Schokolade müssten wir auch verzichten: Mikroorganismen spielen für die Ernährung des Menschen eine wesentliche Rolle. Aber auch in der Medizin sind sie kaum noch wegzudenken, denn Mikroorganismen können darauf getrimmt werden, Antibiotika und menschliche Proteine wie Insulin zu produzieren. Sie sind zudem wichtige "Trittbrettfahrer" im menschlichen Körper, und auch in geochemischen Stoffkreisläufen sind die Kleinstlebewesen unverzichtbar: In der gesamten Biosphäre recyceln Mikroorganismen Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und andere Elemente, die für das Leben auf der Erde essenziell sind. Andere Mikroorganismen wiederum schaden mehr, als dass sie nutzen: Sie sind Erreger von Infektionskrankheiten.
Joan Slonczewski und John Foster bringen Studierenden der Naturwissenschaften die "Mikrobiologie" näher: In der zweiten Auflage ihres knapp 1300 Seiten umfassenden Lehrbuchs geben die beiden Autoren einen umfassenden Einblick in die faszinierende Welt der Mikroorganismen. In fünf großen Themenkomplexen behandeln sie detailliert die mikrobielle Zelle, Gene und Genome, den Metabolismus und die Biochemie von Mikroben, und sie sprechen über mikrobielle Diversität und Ökologie. Schließlich geht es um pathogene Bakterien und Immunabwehr. Neben der ganzen Zell- und Molekularbiologie gehen die Autoren auch auf Methodisches ein: Sie beschreiben, wie man Bakterien beobachtet und kultiviert, und sie erklären die unterschiedlichsten mikroskopischen Methoden. Ein ganzes Kapitel ist der Praxis des molekularbiologischen Arbeitens gewidmet. Der Leser findet in dem Buch aber ebenso etwas zur Bioinformatik, und aktuelle Themen wie die Gentherapie mit Viren kommen auch nicht zu kurz.
Am Anfang jedes Kapitels geben die beiden Wissenschaftler einen kurzen Einblick in die aktuelle Forschung zum Thema und eine Einführung, die Lust auf mehr macht. Am Ende jedes Kapitels findet man eine Zusammenfassung. Pädagogisch sinnvoll sind die Verständnisfragen im laufenden Text, mit denen sich der Student auseinander setzen soll. Die Antworten dazu gibt es im Anhang des Buches. Wem das noch nicht reicht, der findet auf einer Internetseite zusätzliche englischsprachige Materialien wie Quiz, Flashcards und eTopics. Außerdem fordern Internetlinks zu weiterführenden Recherchen auf und begründen selbstständige weiterführende Lerninitiativen. Der Band beeindruckt zudem mit über 900 farbigen anschaulichen Abbildungen, die Erklärungen und korrekte Maßangaben wiedergeben.
Etwas ungewöhnlich für ein Lehrbuch ist, dass jeder der fünf großen Teile mit einem Interview eines Wissenschaftlers beginnt. Und selten sieht man auffällig viele Fotos von Wissenschaftlern in solchen Werken. Spätestens da versteht man, dass hinter der Forschung Menschen stecken. Das macht irgendwie sympathisch. Genau wie die vielen kleinen Hinweise im Buch, die beispielsweise erklären, dass die Bezeichnung "Toll-Gen" auf den Ausruf "Das ist ja toll!" von Christiane Nüsslein-Vollhard zurückgeht, als ihr 1985 die unterentwickelte posteriore Region einer mutierten Taufliege gezeigt wurde. Gewinnend sind auch die etlichen zweiseitigen Exkurse, die sich zum Beispiel mit der Phylogenie eines Biofilms von einem Duschvorhang beschäftigen.
Auch wenn das goldene Zeitalter der Mikroorganismen das 19. Jahrhundert war, ist die Mikrobiologie eine Wissenschaft mit Zukunft, wie auch der Untertitel des Lehrbuchs verrät. Gut, dass es da jetzt ein neues großes Lehrbuch zur Mikrobiologie auf dem deutschsprachigen Fachbüchermarkt gibt. Vor allem, wenn es sich um ein Werk mit diesem Umfang, dieser Gründlichkeit und dieser Darstellung handelt. Das Buch wird in der Zukunft mit Sicherheit einen festen Platz in den Lehrveranstaltungen an deutschen Universitäten einnehmen.
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