Idamanie
Eine bizarre Klaue begrüßt uns auf dem Buchdeckel; eine blaue Banderolle klärt auf, worum es hier gehen soll: "Der Sensationsfund aus Deutschland".
In der Tat war der Medienrummel, den ein etwa halb Meter großes Fossil im Mai 2009 auslöste, beachtlich. Die Wissenschaftler um Jens Franzen vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg und Jørn Hurum vom Naturhistorischen Museum der Universität Oslo präsentierten zeitgleich zu ihrer Publikation in "PLoS One" auf einer Pressekonferenz in New York den Abdruck eines kleinen Äffchens, das vor 47 Millionen Jahre ins Wasser gefallen und ertrunken war. Die sterblichen Überreste hatte ein Fossilienjäger in der Grube Messel – in der die hessische Landesregierung noch lange ihren Müll loswerden wollte, bis die einzigartige Fossillagerstätte von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde – bereits 1983 aufgespürt. Nach einer Odyssee durch private Sammlungen konnte das aus zwei Abdruckhälften bestehende Fossil erst jetzt wissenschaftlich analysiert und beschrieben werden: Darwinius masillae erblickte das Licht der wissenschaftlichen Welt.
Darwinius masillae klingt aber für Medienmenschen wenig sexy. Seit "Lucy" muss jedes Fossil, das auch nur irgendetwas mit dem Menschen zu tun haben könnte, einen einprägsamen Namen tragen – sei es "Toumaï", "Hobbit" oder erst vor Kurzem "Ardi". Und so tauften die Forscher ihren Fund nach Hurums Tochter: "Ida".
Die medialen Bemühungen fruchteten: "Ida" schaffte es in die "Tagesschau", aus "einem der am besten erhaltenen Skelette eines Primatenfossils" wurde schnell das "älteste", und selbst die Kollegen von "Spektrum der Wissenschaft" titelten "Urahn von Mensch und Affen entdeckt" – was natürlich Unsinn ist.
Der britische Wissenschaftsjournalist Colin Tudge setzt ebenfalls auf den Starruhm: "Missing Link", passend zum Darwin-Jahr 2009 erschienen, will die Geschichte von "Ida und den Anfängen der Menschheit" erzählen, wie uns der Untertitel des Buchs verspricht. Den wissenschaftlichen Namen des Corpus Delicti, Darwinius masillae, erfährt der Leser zwar erst auf Seite 251; die Lektüre des flüssig und leicht verständlich geschriebenen Werks wird jedoch mit zahlreichen Details über das Fossil belohnt. Wie in einer Detektivgeschichte schildert Tudge die dramatischen Fundumstände, er beschreibt das Leben von Messel im Eozän und erklärt ausführlich die verschlungenen Pfade der Evolution der Primaten. Die kritische Distanz ging allerdings vor lauter Begeisterung verloren, und so manchen Leser dürfte der Autor mit seiner detaillierten Beschreibung des komplexen Primatenstammbaums mit Feuchtnasen- Trockennasen-, Neuwelt-, Altweltschmalnasen- und Altweltkleinaffen verlieren.
Nur zwischen den Zeilen erweist sich Darwinius masillae als doch nicht ganz so einzigartig. Das älteste Fossil eines Primaten ist die Art sowieso nicht – die Wurzeln dieser Säugerordnung reichen bis zur Kreidezeit zurück –, und Überreste von Anthropoidea, den "echten Affen", sind aus dem mittleren Eozän, also der Messelzeit, längst bekannt. Wirklich erstaunlich ist allerdings der Erhaltungszustand von "Ida" – selbst Spuren ihrer letzten Mahlzeit lassen sich im Magen erahnen. Darwinius masillae steht wahrscheinlich in der Nähe eines Scheidungspunkts, als zwei Primatengruppen – besagte Feucht- und Trockennasen – getrennte Evolutionswege gingen. Damit könnte man die Spezies in der Tat als "Missing Link" bezeichnen. Ob sie aber "in den nächsten hundert Jahren in allen Schulbüchern abgebildet sein" wird, wie Hurum laut Klappentext hofft, bleibt abzuwarten.
Erst im Nachwort von "Missing Link" stellt Jens Franzen unmissverständlich klar, dass es sich bei Darwinius masillae "keinesfalls um einen direkten Vorfahren der Anthropoidea und damit von uns Menschen" handelt. Die gehypte Uroma wird zur Urgroßtante degradiert.
"Wir alle sind Primaten", wie Hurum von Tudge zitiert wird, rettet "Idas" Renommee kaum – der Satz ist schlicht banal. Nachdenklich stimmt vielmehr eine weitere Aussage des Paläontologen: "Ich weiß, dass man ein Fossil im übertragenen Sinn zerstören kann, [...] wenn es in den Medien falsch dargestellt oder ins Lächerliche gezogen wird." Statt es zum Vorfahren der Menschheit umzudeuten, hätte man vielleicht das Äffchen, das vor langer Zeit einen tragischen Tod sterben musste, schlicht als das präsentieren sollen, was es ist: "eines der schönsten Fossilien, die jemals gefunden wurden".
In der Tat war der Medienrummel, den ein etwa halb Meter großes Fossil im Mai 2009 auslöste, beachtlich. Die Wissenschaftler um Jens Franzen vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg und Jørn Hurum vom Naturhistorischen Museum der Universität Oslo präsentierten zeitgleich zu ihrer Publikation in "PLoS One" auf einer Pressekonferenz in New York den Abdruck eines kleinen Äffchens, das vor 47 Millionen Jahre ins Wasser gefallen und ertrunken war. Die sterblichen Überreste hatte ein Fossilienjäger in der Grube Messel – in der die hessische Landesregierung noch lange ihren Müll loswerden wollte, bis die einzigartige Fossillagerstätte von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde – bereits 1983 aufgespürt. Nach einer Odyssee durch private Sammlungen konnte das aus zwei Abdruckhälften bestehende Fossil erst jetzt wissenschaftlich analysiert und beschrieben werden: Darwinius masillae erblickte das Licht der wissenschaftlichen Welt.
Darwinius masillae klingt aber für Medienmenschen wenig sexy. Seit "Lucy" muss jedes Fossil, das auch nur irgendetwas mit dem Menschen zu tun haben könnte, einen einprägsamen Namen tragen – sei es "Toumaï", "Hobbit" oder erst vor Kurzem "Ardi". Und so tauften die Forscher ihren Fund nach Hurums Tochter: "Ida".
Die medialen Bemühungen fruchteten: "Ida" schaffte es in die "Tagesschau", aus "einem der am besten erhaltenen Skelette eines Primatenfossils" wurde schnell das "älteste", und selbst die Kollegen von "Spektrum der Wissenschaft" titelten "Urahn von Mensch und Affen entdeckt" – was natürlich Unsinn ist.
Der britische Wissenschaftsjournalist Colin Tudge setzt ebenfalls auf den Starruhm: "Missing Link", passend zum Darwin-Jahr 2009 erschienen, will die Geschichte von "Ida und den Anfängen der Menschheit" erzählen, wie uns der Untertitel des Buchs verspricht. Den wissenschaftlichen Namen des Corpus Delicti, Darwinius masillae, erfährt der Leser zwar erst auf Seite 251; die Lektüre des flüssig und leicht verständlich geschriebenen Werks wird jedoch mit zahlreichen Details über das Fossil belohnt. Wie in einer Detektivgeschichte schildert Tudge die dramatischen Fundumstände, er beschreibt das Leben von Messel im Eozän und erklärt ausführlich die verschlungenen Pfade der Evolution der Primaten. Die kritische Distanz ging allerdings vor lauter Begeisterung verloren, und so manchen Leser dürfte der Autor mit seiner detaillierten Beschreibung des komplexen Primatenstammbaums mit Feuchtnasen- Trockennasen-, Neuwelt-, Altweltschmalnasen- und Altweltkleinaffen verlieren.
Nur zwischen den Zeilen erweist sich Darwinius masillae als doch nicht ganz so einzigartig. Das älteste Fossil eines Primaten ist die Art sowieso nicht – die Wurzeln dieser Säugerordnung reichen bis zur Kreidezeit zurück –, und Überreste von Anthropoidea, den "echten Affen", sind aus dem mittleren Eozän, also der Messelzeit, längst bekannt. Wirklich erstaunlich ist allerdings der Erhaltungszustand von "Ida" – selbst Spuren ihrer letzten Mahlzeit lassen sich im Magen erahnen. Darwinius masillae steht wahrscheinlich in der Nähe eines Scheidungspunkts, als zwei Primatengruppen – besagte Feucht- und Trockennasen – getrennte Evolutionswege gingen. Damit könnte man die Spezies in der Tat als "Missing Link" bezeichnen. Ob sie aber "in den nächsten hundert Jahren in allen Schulbüchern abgebildet sein" wird, wie Hurum laut Klappentext hofft, bleibt abzuwarten.
Erst im Nachwort von "Missing Link" stellt Jens Franzen unmissverständlich klar, dass es sich bei Darwinius masillae "keinesfalls um einen direkten Vorfahren der Anthropoidea und damit von uns Menschen" handelt. Die gehypte Uroma wird zur Urgroßtante degradiert.
"Wir alle sind Primaten", wie Hurum von Tudge zitiert wird, rettet "Idas" Renommee kaum – der Satz ist schlicht banal. Nachdenklich stimmt vielmehr eine weitere Aussage des Paläontologen: "Ich weiß, dass man ein Fossil im übertragenen Sinn zerstören kann, [...] wenn es in den Medien falsch dargestellt oder ins Lächerliche gezogen wird." Statt es zum Vorfahren der Menschheit umzudeuten, hätte man vielleicht das Äffchen, das vor langer Zeit einen tragischen Tod sterben musste, schlicht als das präsentieren sollen, was es ist: "eines der schönsten Fossilien, die jemals gefunden wurden".
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