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Kritik des neuronalen Determinismus

Die Frage, ob und inwiefern die Erkenntnisse der Neurowissenschaften unser Menschenbild verändern, ist seit Langem Gegenstand hitziger Debatten. Besonders die These, unser Verhalten sei vollständig durch neuronale Prozesse bestimmt und es gebe für einen freien Willen daher in einem naturwissenschaftlichen Weltbild keinen Platz, wird von vielen Philosophen bestritten. Sie versuchen dagegen aufzuzeigen, weshalb der freie Wille durchaus mit den Erkenntnissen der Hirnforschung vereinbar sei. Doch damit können sie viele Neurowissenschaftler nicht überzeugen. Die Philosophieprofessorin Brigitte Falkenburg von der TU Dortmund fährt eine ganz andere Strategie: Anstatt für eine Vereinbarkeit von Freiheit und neuronalem Determinismus zu argumentieren, hinterfragt sie die Grundannahme, dass die Abläufe im Gehirn deterministisch ablaufen. Nach ihrer Analyse beruhen die Argumente der Neurowissenschaftler gegen den freien Willen auf der Annahme, jedes neuronale Geschehen sei strikt durch das Verhältnis von Ursache und Wirkung festgelegt. Ein solcher Determinismus stehe jedoch im Widerspruch zu zwei weiteren Grundannahmen über den menschlichen Geist, nämlich dass geistige Phänomene von physikalischen zu trennen sind und diese sogar verursachen können.

So führt etwa das mentale Bedürfnis zu trinken dazu, dass wir nach einem Wasserglas greifen – es ist demnach die Ursache für die Bewegung des Arms. Laut Falkenburg besteht aber ein intuitiver Widerspruch zwischen der Idee, dass unser Geist Einfluss auf unseren physikalischen Körper hat, und einem neuronalen Determinismus, nach dem jeder Zustand des Gehirns vollständig durch physikalische Ursachen festgelegt ist. Dieser Widerspruch lasse sich am besten auflösen, wenn wir das deterministische Verständnis neuronaler Prozesse aufgeben. Die Autorin verweist darauf, dass der Determinismus nach Immanuel Kant nur ein regulatives Prinzip darstelle, das sich nicht beweisen lasse und in den Naturwissenschaften einfach vorausgesetzt werde. Zudem hätten sich andere Naturwissenschaften wie die Physik längst von einem deterministischen Kausalitätsverständnis verabschiedet. Falkenburg folgert, die Neurowissenschaft solle daher den Determinismus aufgeben – damit falle dann auch die Argumentation gegen einen freien Willen in sich zusammen.

Das Buch liefert eine fundierte Analyse des Kausalitätsbegriffs in der Neurowissenschaft, die der Debatte um den freien Willen neue Impulse gibt. Nur an wenigen Stellen kann die Argumentation nicht ganz überzeugen: So ließe sich der Widerspruch zwischen mentaler Verursachung und physikalischem Determinismus auch durch eine so genannte epiphänomenalistische Position lösen, der zufolge mentale Ereignisse nur durch die ihnen zu Grunde liegenden physikalischen Phänomene kausalen Einfluss ausüben. Diese Möglichkeit wird jedoch von der Autorin nicht einmal in Betracht gezogen. Auch räumt sie ihren Argumenten gegen den Determinismus eher wenig Platz ein und handelt so einen zentralen Punkt etwas zu kurz ab. Dennoch kann Falkenburgs Analyse überzeugen, zumal sie sich trotz der schwierigen Thematik um einen verständlichen Schreibstil bemüht. Das Buch wendet sich allerdings in erster Linie an ein in Sachen Willensfreiheit vorgebildetes Publikum – für einen Einstieg in die Debatte dürfte manches Argument zu schwer zugänglich sein.

  • Quellen
Gehirn und Geist 11/2012

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