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Machthungrig und berechnend?

"Beschreiben nützt nichts, ansehen", schrieb Ludwig Borchardt am 6. Dezember 1912 in sein Grabungstagebuch – gerade hatte er in Amarna die Büste der Nofretete aus dem Schutt der Werkstatt des Bildhauers Thutmosis gezogen. "Anschauen reicht nicht, beschreiben!", postuliert nun umgekehrt Franz Maciejewski und kritisiert einleitend, dass der Publikumsmagnet auf der Berliner Museumsinsel bislang überwiegend nur unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet wurde. Würde man aber allein die heute verlorene Königskobra über der Stirn ergänzen, so schlüge in seinen Augen das kühle erotisierende Porträt in ein kaltes machthungriges Antlitz um.

So lässt der Autor das Bild einer zielstrebigen Regentin entstehen, die rasch aus dem Schatten ihres Gemahls Echnaton heraustrat und dabei vor allem bestrebt war, die Interessen ihres eigenen Familienklans der "Juja" gegenüber dem etablierten Herrscherhaus der Thutmosiden durchzusetzen. Trotz der kenntnisreich dargestellten Fakten – für die man sich allerdings mehr Quellenverweise wünschte – verliert Maciejewski fast nie den roten Faden.

Doch jeder Versuch, die historische Überlieferung der Amarnazeit zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen, führt angesichts der noch vielen widersprüchlichen Aspekte unweigerlich dazu, dass stets einige Puzzleteile nicht passen – und von Maciejewski zurechtgeschnitten werden müssen. So konstruiert er etwa für seine Sicht der Familienverhältnisse mehrere Inzestbeziehungen, einschließlich einer zwischen Echnaton und seiner Mutter Teje, aus der Prinzessin Baket-Aton hervorgegangen sein soll. Nofretetes ominöse Rivalin Kija setzt er mit Echnatons Schwester Sat-Amun gleich, und Nofretete selbst ist seiner Ansicht nach die Verfasserin jenes Briefs, in dem mangels Thronfolger um die Entsendung eines hethitischen Prinzen ersucht wird.

Das schwächste Glied in Maciejewskis Argumentationskette ist aber, dass Nofretete ihren Gemahl überlebt haben soll. Die Grabbeigaben, durch die sich ihr Ableben recht sicher vor Echnatons Tod datieren lässt, werden in einem Nebensatz schlicht als irrelevant abgetan. Der Autor ist sich dieser Problematik allerdings bewusst, denn seine "Sinngeschichte ... kann und will allein durch Triftigkeit der Rekonstruktion, nicht durch letzte Gewissheit überzeugen". Mit dieser Prämisse sticht das Buch unter den zahlreichen Jubiläumspublikationen deutlich hervor. Maciejewski Werk wird sicherlich die Diskussion um Nofretete bereichern.

  • Quellen
epoc 4/2012

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