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Nieswurz gegen Tinnitus und Thymian gegen Lepra

Vorweg: Helmut Birkhans Werk ist kein Handbuch für Hobbygärtner. Auch wenn der farbenfrohe Einband es anders erwarten lässt, bereits nach einigen Seiten der Lektüre erweist sich der Inhalt als recht kompakte und hoch wissenschaftlich geschriebene Studie.

Gewissenhaft schöpft der Wiener Altgermanist und Keltenforscher die vielfältigsten Quellen aus: Er beginnt mit der Pflanzenkenntnis zur Zeit von Hippokrates und Aristoteles, befragt die Bibel, Bischof Isidor von Sevilla, ­Albertus Magnus, Minnelyrik oder Märchen, um dann die Werke von Hildegard von Bingen und Konrad von Megenberg in den Fokus seiner Analyse zu stellen.

Auf seinem Streifzug durch Burg-, Kloster- und Bauerngärten, Wiesen und Wälder sammelt der Autor Pflanzen, Bäume und Pilze, beschreibt signifikante Merkmale wie Farben und Düfte, katalogisiert sie aber nach Aspekten mittelalterlichen Denkens und Glaubens. Dieser Gliederung entspricht weit gehend auch das Inhaltsverzeichnis seines Buchs.

Birkhan wagt sich zudem an volksetymologische Deutungen der Pflanzennamen, um mit alten Missverständnissen aufzuräumen, die frühere Identifikationen hervor­riefen – etwa im Fall des Flieders, mit dem bis in die frühe Renaissance unser Holunder gemeint war. Überdies entdeckt er in mittelalterlichen Beschreibungen unvermutet eine exotische Art des "Paradiesbaums", der offenbar keine Äpfel, sondern Bananen trägt!

Dieser Artikel stammt aus epoc 3/2012
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Neben Interessantem zum Nutzwert der Pflanzen erfährt der Leser vor allem kuriose Details zu ihrer magischen Verwendung in der Volksheilkunde. Dabei führt Birkhan vor Augen, wie eng die Beziehung zwischen Mensch und Natur in jener Epoche war. Deutlich spürbar wird die Relevanz des Glaubens, der ebenso von frommer Gottesverehrung wie von der Furcht vor himmlischen Strafen geprägt ist. Und Pflanzen spielten im Grenzbereich von Aberglauben und Mystik eine bemerkenswerte Rolle.

Insbesondere biblische Darstellungen zeigen viele Beispiele christlicher Pflanzenmetaphorik: Blumen als Zeichen der Pilgerschaft oder Marienverehrung. Weltliche Sichtweisen spiegeln sich in Rosen und Lilien der Heraldik wider. Sie stehen für Macht, Herrschaftsansprüche und Tradition. Als Symbol der Rechtsprechung etwa – damals oft im Freien ausgeübt – wählte man bestimmte Bäume.

Eine umfangreiche Bibliografie und ein kompletter Pflanzenindex vervollständigen das anspruchsvolle Buch. Mit seiner Kulturgeschichte erhellt Birkhan die überkommene Vorstellung vom finsteren, weil vermeintlich ungebildeten Mittelalter, dürfte aber durch die vielen Detailstudien nur einen begrenzten Leserkreis von Botanikern und Ökologen erreichen.

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