Quantenphilosophie
Ein klassischer Kriminalroman fesselt den Leser, indem dieser die Überlegungen des Detektivs verfolgt, die schließlich zum Täter führen. Das vorliegende Buch liest sich so spannend wie ein Krimi, aber es ist fraglich, ob die Suche nach eindeutigen Indizien überhaupt einen Sinn hat. Vielleicht gibt es bis zum Schluss mehrere Schuldige, und der als Täter Entlarvte ist ein Produkt der Verfolgung? Hätte eine andere Suche vielleicht einen anderen Hergang der Tat ergeben?
An die Stelle des Detektivs treten in diesem Quantenkrimi einige Physiker, und die Rolle des gesuchten Täters übernimmt das, was sie erforschen – die Wirklichkeit. Die Frage, was physikalische Realität ist, spaltete die Schöpfer der Quantenphysik bald in zwei Fraktionen. Die einen, angeführt von Albert Einstein und Erwin Schrödinger, wollten möglichst viel vom klassischen Wirklichkeitskonzept in die Quantenwelt hinüberretten. Für sie blieb die Realität der Quanten letztlich eindeutig, deterministisch, lokal: Jede Ursache hat genau eine Wirkung, unabhängig davon, ob und wie wir sie beobachten. Die andere Fraktion, insbesondere Niels Bohr und Werner Heisenberg, war rasch davon überzeugt, dass die neue Physik einen nichtklassischen Realitätsbegriff erzwingt: Wir beobachten Phänomene, die vom verwendeten Messverfahren abhängen und mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten eintreten. Was unter einer derart alltagsfernen Wirklichkeit genau zu verstehen ist, das beschäftigt Naturphilosophen und theoretische Physiker bis heute.
Der Autor Manjit Kumar, studierter Physiker und Philosoph, entfaltet zunächst ein breites Panorama der Physik um 1900, wobei er die handelnden Personen geschickt auf der Problembühne platziert. Da ist der widerstrebende Revolutionär Max Planck, der das richtige Strahlungsgesetz nur um den Preis der Quantenhypothese findet. Anscheinend verhält sich die Energie der Strahlung, als wäre sie portioniert. Dann kommt der echte Revolutionär Einstein und zieht den tollkühnen Schluss: Jawohl, Strahlung besteht wirklich aus Quanten. Damit entsteht sofort die Frage, was Licht denn nun ist – Welle oder Teilchen? Beides zugleich geht nicht.
Wie Kumar zeigt, spaltet schon dieser Welle-Teilchen-Dualismus die Physiker in eine Fraktion, die mit Heisenberg die Frage nach einer Wirklichkeit hinter den Beobachtungen für sinnlos hält, und eine, die zum Beispiel wie Schrödinger im Wellencharakter das Reale sieht. Bohr prägt den Begriff Komplementarität. Beide Aspekte sind nötig, sagt er; Teilchen haben Wellencharakter und umgekehrt. Wenn wir Quantenobjekte im Experiment wie Teilchen behandeln, erhalten wir Teilchenresultate; stellen wir typische Wellenversuche an, sehen wir Wellenphänomene.
Dass das Resultat derart vom Messverfahren abhängen soll, ist aber für Einstein ein Unding. Die Realität muss vom Beobachter unabhängig sein – oder ist der Mond etwa nur da, wenn ich ihn sehe? Doch Heisenberg und Bohr erblicken in der Quantenphysik etwas völlig Neues, das solchen Fragen den Boden entzieht. In der Mikrowelt lässt sich der Einfluss unserer Beobachtungsinstrumente nicht mehr so sauber vom Beobachtungsobjekt separieren, wie wir das aus der klassischen Physik gewohnt sind. Also ist es an der Zeit, vom gewohnten Wirklichkeitsbegriff Abschied zu nehmen.
Für diese pragmatische Haltung spricht der durchschlagende Erfolg der neuen Physik, gegen sie sprechen die hartnäckigen Einwände, die Einstein in immer neuen Gedankenexperimenten kontra Bohr vorbringt. Die legendäre Bohr-Einstein-Debatte ist der dramatische und intellektuelle Höhepunkt des Buchs.
Kumar macht deutlich, dass Bohr zwar das letzte Wort behält, aber mit ziemlich scholastischen Argumenten operiert. Schwach ist seine Antwort auf Einsteins letzten Einwand. In der berühmten "EPR-Arbeit" – nach den Intitialen der Autoren Einstein, Podolsky und Rosen – argumentiert Einstein, die Quantenmechanik müsse unvollständig sein, da sie "spukhafte Fernwirkung" zulasse und damit das – für Einstein selbstverständliche – Postulat des lokalen Realismus verletze. Bohr rettet sich mit knapper Not in den Nebel der Erkenntnistheorie, indem er wiederholt, das Messresultat hänge eben von der gewählten Messmethode ab.
Eine stringente Antwort fand der Theoretiker John Stewart Bell erst später mit der nach ihm benannten Ungleichung. Sie ist der seltene Fall der Übersetzung eines philosophischen Problems in eine mathematische Formel. Wenn die bellsche Ungleichung gilt, dann ist die Quantenmechanik unvollständig – dann gibt es eine tiefere lokale Theorie, und Einstein hat Recht. Wird die Ungleichung verletzt, dann ist die Quantenrealität nichtlokal, und Bohr hat, ebenso wie die meisten Physiker, gegen Einstein gesiegt.
Heute wissen wir aus immer raffinierteren Experimenten: Die bellsche Ungleichung wird verletzt, die Quantenwelt ist wirklich nichtlokal. Damit ist freilich die von Einstein angestoßene Debatte nicht erledigt: Was die Quantenphysik "wirklich" bedeutet, bleibt umstritten. Obwohl Einstein seinem Freund und Widersacher Bohr letztlich unterlag, hat sein Einspruch wesentlich zur Zuspitzung zentraler Fragen nach dem Wesen der physikalischen Wirklichkeit beigetragen. Manjit Kumar hat darüber einen Bericht verfasst, der so faszinierend ist wie sein Thema.
An die Stelle des Detektivs treten in diesem Quantenkrimi einige Physiker, und die Rolle des gesuchten Täters übernimmt das, was sie erforschen – die Wirklichkeit. Die Frage, was physikalische Realität ist, spaltete die Schöpfer der Quantenphysik bald in zwei Fraktionen. Die einen, angeführt von Albert Einstein und Erwin Schrödinger, wollten möglichst viel vom klassischen Wirklichkeitskonzept in die Quantenwelt hinüberretten. Für sie blieb die Realität der Quanten letztlich eindeutig, deterministisch, lokal: Jede Ursache hat genau eine Wirkung, unabhängig davon, ob und wie wir sie beobachten. Die andere Fraktion, insbesondere Niels Bohr und Werner Heisenberg, war rasch davon überzeugt, dass die neue Physik einen nichtklassischen Realitätsbegriff erzwingt: Wir beobachten Phänomene, die vom verwendeten Messverfahren abhängen und mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten eintreten. Was unter einer derart alltagsfernen Wirklichkeit genau zu verstehen ist, das beschäftigt Naturphilosophen und theoretische Physiker bis heute.
Der Autor Manjit Kumar, studierter Physiker und Philosoph, entfaltet zunächst ein breites Panorama der Physik um 1900, wobei er die handelnden Personen geschickt auf der Problembühne platziert. Da ist der widerstrebende Revolutionär Max Planck, der das richtige Strahlungsgesetz nur um den Preis der Quantenhypothese findet. Anscheinend verhält sich die Energie der Strahlung, als wäre sie portioniert. Dann kommt der echte Revolutionär Einstein und zieht den tollkühnen Schluss: Jawohl, Strahlung besteht wirklich aus Quanten. Damit entsteht sofort die Frage, was Licht denn nun ist – Welle oder Teilchen? Beides zugleich geht nicht.
Wie Kumar zeigt, spaltet schon dieser Welle-Teilchen-Dualismus die Physiker in eine Fraktion, die mit Heisenberg die Frage nach einer Wirklichkeit hinter den Beobachtungen für sinnlos hält, und eine, die zum Beispiel wie Schrödinger im Wellencharakter das Reale sieht. Bohr prägt den Begriff Komplementarität. Beide Aspekte sind nötig, sagt er; Teilchen haben Wellencharakter und umgekehrt. Wenn wir Quantenobjekte im Experiment wie Teilchen behandeln, erhalten wir Teilchenresultate; stellen wir typische Wellenversuche an, sehen wir Wellenphänomene.
Dass das Resultat derart vom Messverfahren abhängen soll, ist aber für Einstein ein Unding. Die Realität muss vom Beobachter unabhängig sein – oder ist der Mond etwa nur da, wenn ich ihn sehe? Doch Heisenberg und Bohr erblicken in der Quantenphysik etwas völlig Neues, das solchen Fragen den Boden entzieht. In der Mikrowelt lässt sich der Einfluss unserer Beobachtungsinstrumente nicht mehr so sauber vom Beobachtungsobjekt separieren, wie wir das aus der klassischen Physik gewohnt sind. Also ist es an der Zeit, vom gewohnten Wirklichkeitsbegriff Abschied zu nehmen.
Für diese pragmatische Haltung spricht der durchschlagende Erfolg der neuen Physik, gegen sie sprechen die hartnäckigen Einwände, die Einstein in immer neuen Gedankenexperimenten kontra Bohr vorbringt. Die legendäre Bohr-Einstein-Debatte ist der dramatische und intellektuelle Höhepunkt des Buchs.
Kumar macht deutlich, dass Bohr zwar das letzte Wort behält, aber mit ziemlich scholastischen Argumenten operiert. Schwach ist seine Antwort auf Einsteins letzten Einwand. In der berühmten "EPR-Arbeit" – nach den Intitialen der Autoren Einstein, Podolsky und Rosen – argumentiert Einstein, die Quantenmechanik müsse unvollständig sein, da sie "spukhafte Fernwirkung" zulasse und damit das – für Einstein selbstverständliche – Postulat des lokalen Realismus verletze. Bohr rettet sich mit knapper Not in den Nebel der Erkenntnistheorie, indem er wiederholt, das Messresultat hänge eben von der gewählten Messmethode ab.
Eine stringente Antwort fand der Theoretiker John Stewart Bell erst später mit der nach ihm benannten Ungleichung. Sie ist der seltene Fall der Übersetzung eines philosophischen Problems in eine mathematische Formel. Wenn die bellsche Ungleichung gilt, dann ist die Quantenmechanik unvollständig – dann gibt es eine tiefere lokale Theorie, und Einstein hat Recht. Wird die Ungleichung verletzt, dann ist die Quantenrealität nichtlokal, und Bohr hat, ebenso wie die meisten Physiker, gegen Einstein gesiegt.
Heute wissen wir aus immer raffinierteren Experimenten: Die bellsche Ungleichung wird verletzt, die Quantenwelt ist wirklich nichtlokal. Damit ist freilich die von Einstein angestoßene Debatte nicht erledigt: Was die Quantenphysik "wirklich" bedeutet, bleibt umstritten. Obwohl Einstein seinem Freund und Widersacher Bohr letztlich unterlag, hat sein Einspruch wesentlich zur Zuspitzung zentraler Fragen nach dem Wesen der physikalischen Wirklichkeit beigetragen. Manjit Kumar hat darüber einen Bericht verfasst, der so faszinierend ist wie sein Thema.
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