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Im Bann der Quantenwelt

"Man kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht", sagte einst der Teilchenphysiker Richard Feynman und sorgte damit bei seinen Studenten für große Erleichterung. Denn der Anfänger, der in die faszinierende Welt der Quanten gerät, stolpert schnell über den gesunden Menschenverstand.

Das ging der Berliner Abiturientin Silvia Arroyo Camejo nicht besser. Aber an Stelle der üblichen Schreckstarre entschloss sie sich kurzerhand, den Missstand selbst aus dem Weg zu räumen und "die Lücke zwischen der meist formelfreien populärwissenschaftlichen Literatur und der mit höherer Mathematik gespickten Studienliteratur" mit einem eigenen Buch zu schließen. Das Vorhaben löste vergangenes Jahr eine Lawine der Begeisterung in Tages- und Wochenzeitungen aus. Da war ich etwas skeptisch: Ausgerechnet eine Schülerin will den Olymp der modernen Wissenschaftswelt besteigen? Ob das gut geht?

Mit unübersehbarer Begeisterung widmet sich die Gipfelstürmerin der ganzen Palette der Quantenphänomene – vom Photoeffekt bis hin zur futuristischen Quantengravitation. Auf anschauliche und behutsame Weise macht sie den Leser mit den zur Quantentheorie führenden Entdeckungen vertraut. Man fühlt sich manchmal tatsächlich so, als würde man wieder die Schulbank drücken und bekäme das Wissen mundgerecht serviert.

Zu Beginn erläutert die junge Berlinerin in aller Ausführlichkeit den Welle-Teilchen- Dualismus. Die bildhaften Darstellungen dieses hochtheoretischen Themas sind mal gelungen, mal für meinen Geschmack etwas befremdlich: "Fragen Sie bitte beispielsweise einen Fußballspieler, wann er seinen Fußball das letzte Mal an zwei Orten gleichzeitig gesehen hat!"

Wie in der populärwissenschaftlichen Literatur überwiegt die textliche Erläuterung; wo das sinnvoll ist, wird diese aber durch Grafiken und Formeln ergänzt. Die Mathematik bewegt sich meist auf gehobenem Schulniveau. Nur im Kapitel über die Schrödinger- Gleichung gefährden plötzlich komplexe Zahlen und Laplace-Operatoren den emsigen Lesefluss des interessierten Laien und machen ihm schmerzlich bewusst, dass die moderne Physik untrennbar mit höherer Mathematik verbunden ist.

Frei von Formeln ist dagegen die historische Aufarbeitung der Einstein-Bohr- Debatte, in deren Verlauf sich Altmeister Einstein gegen die nichtdeterministische Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik auflehnte. Der Fachmann lernt hier nichts Neues; für viele andere dürfte die Widerspenstigkeit des Vaters der Relativitätstheorie aber überraschend kommen.

In der Tat ist "Skurrile Quantenwelt" primär ein Buch für ambitionierte Physikinteressierte ohne große Vorbildung. Der Brückenschlag zwischen Laien- und Lehrbuch ist der Autorin überwiegend gut gelungen. Der allgegenwärtige Schülercharme ist dagegen Geschmackssache. Ich fühlte mich von der stellenweise naiven Herangehensweise und den ausufernden Erklärungen der ersten 100 Seiten etwas genervt und wollte das Buch fast schon aus der Hand legen. Das wäre schade gewesen, denn zu den wirklich interessanten Themen kommt die Autorin erst im letzten Viertel.

Leider sind in der Quanternmechanik die interessanten Dinge meistens auch kompliziert. Bei der Diskussion des Einstein-Podolsky- Rosen-(EPR-)Paradoxons, der Bell’-schen Ungleichung und der Quantengravitation gerät die Autorin in philosophisches Fahrwasser; denn wie die Erkenntnisse der Quantenmechanik ausgelegt werden sollen, ist noch heute Gegenstand heißer Diskussionen. Trotzdem oder gerade deswegen verbirgt sich in diesem Schlussteil die echte Stärke des Buchs, was die zu ausführlich geratene erste Hälfte vergessen macht: Mit jugendlichen Augen gibt die Autorin einen Überblick über die gängigsten Theorien und Deutungen rund um die Quantenphysik, was auch für gestandene Physiker eine interessante Auseinandersetzung mit diesem kontroversen Thema bietet.

Derweil bleiben dank der unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten und der offenen Zukunft der Quantengravitationstheorien auch nach der Lektüre von "Skurrile Quantenwelt" viele Geheimnisse ungelüftet. Da kommen einem unverhofft die Worte von Feynmans Kollegen Enrico Fermi in den Sinn: "Ich bin immer noch verwirrt, aber auf einem höheren Niveau." Für Silvia Arroyo Camejo war dieses Niveau offenbar nicht hoch genug: Sie studiert mittlerweile Physik und kämpft sich so noch tiefer hinein ins Dickicht der Quantenwelt.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 11/2007

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