Die Physik von Schiff und Eisberg
Auf die Frage, warum die "Titanic" damals gesunken ist, würden die meisten Menschen wohl spontan antworten: "Weil sie gegen einen Eisberg gefahren ist!" Dass diese Sache allerdings bei Weitem nicht ganz so simpel ist, beweist Metin Tolan mit seinem neusten Buch "Titanic. Mit Physik in den Untergang." Auf rund 200 Seiten beschäftigt sich der Dortmunder Physikprofessor hier mit den wissenschaftlichen Hintergründen rund um den Untergang des Luxusliners.
Dabei gibt der Autor zunächst einen kurzen Überblick über die geschichtlichen Ereignisse um den Bau und die Jungfernfahrt der "Titanic" und ihrer beiden Schwesternschiffe "Olympic" und "Britannic". Aufgelockert werden diese Schilderungen durch kurzweilige Anekdoten, wie etwa die der unglückseligen Krankenschwester Violet Jessop, die es tatsächlich vollbrachte, nacheinander mit gleich allen drei Schiffen unterzugehen. Die junge Frau hatte allerdings Glück im Unglück: Sie konnte jedes Mal gerettet werden.
Im Anschluss daran widmet Tolan sich zunächst ganz allgemein der Physik der Schifffahrt und erklärt beispielsweise wie Schiffsschraube und Dampfmaschine – die zur damaligen Zeit noch für den Antrieb der Schrauben genutzt wurde – funktionieren. Dabei scheint keine Frage zu trivial, nicht mal die, warum die "Titanic" eigentlich überhaupt auf dem Wasser schwamm und nicht ohnehin sofort als rostiges Stück Metall auf dem Meeresboden landete.
Auch in seinem neusten Sachbuch lässt es sich Tolan – der bereits für seine Analysen über Fußball und diverse James-Bond-Filme bekannt ist – nicht nehmen, nebenbei noch mit einigen Kinomythen aufzuräumen. So nimmt er sich zwischendurch immer wieder Szenen aus James Camerons oscarprämierter Verfilmung mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet vor und betrachtet sie unter physikalischen Gesichtspunkten. Bereits zu Beginn des Films behauptete etwa einer der Schiffsreisenden, er könne schon mit bloßen Augen die Freiheitsstatue erkennen. Dazu muss man wissen, dass die "Titanic" zu diesem Zeitpunkt von ihrem Zielort New York noch etwa 5000 Kilometer weit entfernt war. Selbst unter der Annahme, ein Mensch könne tatsächlich so weit sehen, erklärt Tolan, dass er trotzdem niemals Lady Liberty von dort aus erblicken würde – denn dafür müsste die Statue allein auf Grund der Erdkrümmung mindestens 2591 Kilometer hoch sein.
Nach einem kurzen Intermezzo über die Entstehung von Eisbergen – der, mit dem die "Titanic" kollidierte, stammte übrigens aus Grönland – kommt der Autor im vierten Kapitel endlich zu dem, was der Titel bereits verspricht, zur Physik des "Titanic"-Untergangs. Hier rechnet Tolan detailliert vor, wie groß das Leck in der Außenwand des Luxusliners gewesen sein muss, wo es sich befunden hat und wie so viel Wasser dadurch in das Innere des Schiffs strömen konnte. Auch die drängende Frage, warum die "Titanic" trotz angeblicher Unsinkbarkeit dann doch auf dem Meeresgrund landete, beantwortet der Autor.
Eine andere Frage, nämlich die nach der Zielgruppe dieses Buchs, gestaltet sich allerdings etwas schwieriger. Leser mit Vorkenntnissen auf dem Gebiet der Physik werden zwar einige nette Details aus der Geschichte der "Titanic" mitnehmen können, von den wissenschaftlichen Erklärungen dürften sie aber wenig überrascht sein. Weniger physikaffine Leser dagegen werden sich an einigen Stellen von der Lektüre durchaus überfordert fühlen. So versucht Tolan etwa bereits im zweiten Kapitel die Gegebenheiten von Wasserwellen samt Dispersion und Interferenz zu erklären – und das gelingt ihm auch nicht wesentlich besser, als den meisten Lehrbüchern für Physikstudenten. Zudem nehmen Fußnoten, die versuchen, komplexere Zusammenhänge und grundlegende mathematische Formeln zu erklären, teilweise halbe Seiten an Platz ein. Das stört manchmal nicht nur ganz erheblich den Lesefluss, sondern sorgt auch öfter für die Frage, ob teilweise derart unverständlich präsentierte Gleichungen wirklich zum Verständnis beitragen oder eher für Verwirrung sorgen.
Ignoriert man die Fußnoten weitest gehend, dann ist "Titanic. Mit Physik in den Untergang" aber ein kurzweiliges und durchaus interessantes Buch, das man gut in einem Zug durchlesen kann. Ein Buch für alle, die immer schon wissen wollten, warum Jack, aber nicht Rose am Ende der "Titanic"-Verfilmung im Eiswasser erfriert und wie man den Untergang des Schiffs zuletzt sogar doch noch hätte verhindern können – physikalisch betrachtet.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben