Direkt zum Inhalt

Chemische Kriegführung der Bohne

Natürlich wissen Pflanzen nichts! Erst der Titel des letzten Kapitels "Epilog" ist korrekt und trifft den Inhalt des Buchs: "Die wahrnehmende Pflanze". Der Autor selbst warnt mehrfach davor, menschliche Tätigkeiten wie "sehen, riechen und sich erinnern" auf die Objekte seiner Forschung zu projizieren. Warum er im Buchtitel und in jeder Kapitelüberschrift genau diesen Fehler begeht, bleibt sein Geheimnis.

Aber davon abgesehen: Daniel Chamovitz versteht es, seine Leser mit vielen Erkenntnissen aus der klassischen Sinnes-, Wachstums- und Bewegungsphysiologie der Pflanzen zu gewinnen. Als Direktor des Manna Center for Plant Biosciences an der Universität Tel Aviv arbeitet er selbst an solchen Fragestellungen. Eine ganze Reihe seiner Beispiele im Buch gehört seit über 100 Jahren zum Grundstudium der Botanik und ist in einer solchen Auswahl nicht überraschend. Aber auch viele neue Forschungsergebnisse (bis 2011) sind dabei.

Bereits Wilhelm Pfeffer (1845-1920) untersuchte die (Wachstums-)Bewegungen von verschiedenen Pflanzen. Seine Zeitrafferfilme von 1898 bis 1900 kann man sich sogar immer noch im Internet ansehen (suchen Sie unter dailymotion.com nach "Wilhelm Pfeffer plant movement"; die im Buch angegebene Adresse stimmt nicht mehr). Charles Darwin (1809-1882) hatte schon vorher die – wie er meinte – den Pflanzen innewohnenden Bewegungen von über 300 Arten durch Nachzeichnen der Bewegungsbahnen auf darüber liegenden Glasplatten studiert. Da sie mehr oder weniger spiralförmig verliefen, nannte er sie Circumnutationen. Er schloss daraus, dass die wichtigen Bewegungen zum Licht (Phototropismus) oder zum Boden hin (Gravitropismus) lediglich Varianten solcher Spiralbewegungen seien. Das blieb Lehrmeinung bis 1968. Dann erkannte man, dass es genau umgekehrt ist: Gravitropismus ist die Ursache, Circumnutation die Folge. Beweisen konnte man das aber erst 2000 an Bord der Internationalen Raumstation, denn in der Schwerelosigkeit zeigten die Pflanzen nur ganz kleine Kreiselbewegungen. Setzt man dort jedoch in einer komplizierten Versuchsanordnung die Pflanzen einer künstlichen Schwerkraft aus, verhalten sie sich wie auf der Erde.

Ausführlich schildert Chamovitz die Erforschungsgeschichte und Physiologie des Photoperiodismus bei Kurz- und Langtagspflanzen. Es ist die Variation der Tageslänge, die den Blühtermin einer Pflanze bestimmt – wirtschaftlich bedeutend für diejenigen, die pünktlich zu Weihnachten blühende Weihnachssterne oder Chrysanthemen, eigentlich Herbstpflanzen, zum Muttertag auf den Markt bringen wollen.

Ebenfalls von ökonomischem Interesse sind die Möglichkeiten zur biologischen Schädlingsbekämpfung bei Kulturpflanzen. Pflanzen nutzen Duftstoffe – die wir selbst recht gut wahrnehmen und nicht immer schätzen –, um zum Beipiel Insekten zur Bestäubung anzulocken. Seit 1983 kennt man darüber hinaus eine Art Kriegführung mit chemischen "Kampfstoffen". Blätter der Limabohne (Phaseolus lunatus) geben, wenn sie von Käfern angefressen werden, aus den Wunden einen flüchtigen Duft ab. Der veranlasst die Blüten, einen Nektar zu produzieren, der nun Fressfeinde der angreifenden Käfer anlockt!

Berührt ein Insekt die Blattoberfläche einer fleischfressenden Pflanze wie Sonnentau oder Venusfliegenfalle, dann wird das Tier relativ schnell in eine raffiniert konstruierte Falle eingeschlossen und anschließend an Ort und Stelle durch aus Drüsen abgeschiedene Säfte verdaut. Das hat wiederum Darwin schon genau beschrieben, aber erst 2007 wurde dabei ein Aktionspotenzial wie bei tierischen Nerven gemessen. Diese Vorgänge sind elektrochemisch sehr kompliziert. Chamovitz hilft sich hier – und auch an anderen Stellen – durch Einschalten eines Kastens in den Text. Bei der kritischen Einordnung dieser Ergebnisse vermeidet er einen Konflikt mit anderen Wissenschaftlern, die ähnliche Phänomene als Ausdruck "pflanzlicher Intelligenz" interpretierten. Diese Gruppe gründete 2005 sogar die "Society for Plant Neurobiology", milderte allerdings den durch den Namen ausgedrückten Anspruch 2009 durch Umbenennung in "Society of Plant Signaling and Behavior" ab.

Unter den im Untertitel aufgelisteten Fähigkeiten der Pflanzen fehlt das Hören. Zu Recht, denn "neuere Daten, die irgendeine signifikante Reaktion von Pflanzen auf Klänge belegen würden, gibt es nicht", so der Autor. Für dieses wenig überraschende Ergebnis verschwendet Chamovitz immerhin 14 Seiten, in denen er unter anderem über die ernst gemeinten Versuche einer Frau berichtet, schädliche Wirkungen lauter Rockmusik von Jimi Hendrix und Led Zeppelin im Vergleich zu Bach, Mozart und Schönberg auf Pflanzen im Labor zu erforschen, um dann die Ergebnisse als Warnung für junge Menschen zu verwenden. Die kulturpolitische Landschaft der 1960er Jahre und die Auswüchse des New-Age waren der Nährboden für solche "Erkenntnisse". Dieser Abschnitt ist aber der einzige, den man zu Recht bemängeln kann.

Ansonsten berichtet der Autor in "lesbarer Prosa" – wie er selbst sagt –, was Pflanzen alles wahrnehmen und wie sie darauf oft völlig überraschend reagieren. Interesse an Pflanzenphysiologie sollte der Leser aber schon mitbringen. Das Buch ist äußerlich sehr ansprechend aufgemacht, wie ein Lyrikbändchen; aber als Bettlektüre eignet es sich dann doch nicht.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 09/2013

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.