Nur bedingt besser
Vor zweieinhalb Jahren habe ich die erste Auflage von »Geschichte der Raumfahrt« von Wolfgang Osterhage besprochen. Das angesichts der umfangreichen Thematik schmal ausgefallene, und obendrein luftig betextete Bändchen konnte mich nicht wirklich überzeugen. Trotz seiner umfangreichen Mängelliste scheint das Buch dennoch so großen Anklang gefunden zu haben, dass es der Springer-Verlag neu aufgelegt hat. Grund genug, einen Vergleich mit der Erstausgabe anzustellen.
Da finden wir nun zunächst zwei Autoren auf dem Cover. Neben Wolfgang Osterhage, dem Autor der Erstausgabe, ist das jetzt Christian Gritzner, ein namhafter Wissenschaftler des DLR. Das Werk ist von 257 auf 299 Seiten gewachsen.
Auch in der Neuausgabe gibt es eingangs eine lange Abhandlung zu Kosmologie und Planetenkunde. Für ein Buch, das die Geschichte der Raumfahrt zum Thema hat, ist das ungefähr so nötig, wie ein Kochbuch mit den Grundlagen der Chemie zu beginnen. Zum Thema unnötige Exkursionen gehören auch dieses Mal wieder neben dem mehrseitigen Formelwerk zur Raketengrundgleichung, zur Bestimmung von Bahngeschwindigkeiten und Umlaufzeiten, die Tabellen am Ende des Buches. Die beschäftigen sich mit den Charakteristika der Planeten unseres Sonnensystems, einer peniblen Aufzählung aller Einzelkomponenten der ISS und selektiven Merkmalen von Trägerraketen. Man findet all das auf deutlich neuerem Stand und besser gegliedert mit zwei Mausklicks in der Wikipedia. Der dafür verschwendete Platz wäre besser für themenbezogene Informationen genutzt worden.
Die ersten 100 Seiten der zweiten Auflage sind eine praktisch unveränderte Kopie aus der ersten Auflage. Das betrifft auch Daten, die längst veraltet sind, wie etwa die Angaben zu den Starlink-Satelliten. Fehler, wie bei den technischen Angaben zur Mercury-Kapsel und ihren Landeplätzen, oder der Überschrift zum Kapitel 8.9, wurden eins zu eins in die zweite Auflage mit übernommen. Nur ganz sporadisch sind geringfügige Änderungen in den Text eingestreut. So wird aus einer »Armee von Satelliten« in der zweiten Auflage eine »Flotte von Satelliten« oder aus der »Kuba-Krise« eine »Kuba-Krise 1962«.
Im Kapitel über Juri Gagarin wird in der ersten Auflage unter anderem erklärt, warum er bei seiner Mission eine Pistole mitführte, nämlich: »…in Erwartung unbekannter Gegner, da niemand wusste, wer sich da oben alles tummeln würde«. Die zweite Auflage berichtigt das in: »…für den Fall einer Landung in einer abgelegenen Gegend, um sich vor wilden Tieren zu schützen«.
Ausnahmsweise gibt es in diesen ersten 100 Seiten auch mal eine Erweiterung, wie die neu eingefügte Tabelle auf Seite 68. Die findet sich allerdings in einem Kapitel (Beobachtung von Satelliten), das wieder einmal nur am Rand das eigentliche Thema des Buches streift. Erst ab Seite 103 ist erstmals ein neues Kapitel eingebaut. Es beschäftigt sich mit der Raumkapsel Crew Dragon von SpaceX.
Die indiskutable Bildqualität der ersten Auflage hat sich teilweise gebessert. Manche der zuvor durchweg trist-verregneten Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind jetzt durch – allerdings immer noch stark gerasterte – Farbbilder etwas höherer Qualität ersetzt. Da ergeben dann auch kleine Absurditäten aus der ersten Auflage (wie ein Hinweis im Text: »siehe rotes Kreuz«) plötzlich Sinn.
Generell ist das Buch sparsam und manchmal recht unpassend illustriert. So zeigt das Bild auf S. 95 eine sehr grobe Grafik des Shenzhou-Raumschiffes aus den frühen 2010er-Jahren. Das hätte man ohne großen Aufwand durch die seit mehr als 15 Jahren gebräuchliche modernere Shenzhou-Variante (mit nur einem Solargeneratorpaar) austauschen können. Genauso wie die ziemlich törichte Behauptung im Begleittext, die Shenzhou verfüge über kein Andockmodul. Ein Ärgernis ist die grafische Darstellung auf Seite 155 (Komponenten der ISS) der zweiten Auflage. Genauso wie in der ersten Auflage ist die Beschriftung so winzig, dass sie mit bloßem Auge praktisch nicht zu entziffern ist.
Wie schon in der Erstausgabe fehlen auch in der zweiten Auflage trotz 32 zusätzlicher Seiten viele wichtige raumfahrtgeschichtliche Themen. Für Osterhage und Gritzner existieren bedeutende private Raumfahrtunternehmen wie Blue Origin, die United Launch Alliance oder Rocket Lab schlichtweg nicht. Selbst SpaceX, dessen Aktivitäten weit umfangreicher sind als die jeder Einzelnation auf diesem Planeten, lernt man nur beiläufig im Kapitel über "Crew Dragon" kennen. Doch schon im Stichwortverzeichnis ist das Unternehmen nicht mehr auffindbar. Man erfährt auch so gut wie nichts über die Evolution der Trägerraketen ohne die es eine Geschichte der Raumfahrt überhaupt nicht gäbe. Militärische Raumfahrt, mit der doch alles begann: Eine einzelne Seite. Das enorme bemannte Mondprogramm der Sowjets: einige wenige dürre Worte. Nichts über die Parker Solar Probe, das Starship oder den Starliner von Boeing.
Immerhin: Das Buch ist bis auf die Seiten mit den Formeln flüssig lesbar. Die beiden Autoren zeigen sich weitgehend faktensicher. Wer grundlegende Informationen zur Geschichte der Raumfahrt lesen will und sich stets bewusst ist, dass hier schon bedingt durch das kleine Format große Lücken klaffen, ist damit ausreichend bedient. Und wenn man schon einige der Springer-Einführungswerke der Reihe »Astrophysik Aktuell« im Bücherschrank stehen hat, dann passt auch dieses neue Büchlein sowohl ins Konzept wie ins Regal. Dort sehen die gleichgeschalteten Buchrücken dann adrett und ordentlich aus.
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