Weltraumlift: Der Weltraum an der Leine
Wie gewaltig die Aufgabe wäre, einen Weltraumlift zu bauen, zeigen schon die bloßen Zahlen. Den bisher längsten Aufzug der Welt hat die japanische Mitsubishi Electric Corporation in den Shanghai Tower in China eingebaut. Er überwindet 578,5 Höhenmeter, und zwar in weniger als einer Minute. Ein Weltraumaufzug dagegen muss mindestens 250 Kilometer hoch reichen, um aus der Erdatmosphäre herauszukommen. Eine Raumstation, die in einer tieferen Umlaufbahn kreist, würde durch die atmosphärische Reibung in wenigen Monaten so stark abgebremst, dass sie wieder auf die Erde zurückfiele. Da ein Erdumlauf in dieser Höhe nur rund 100 Minuten dauert, würde sich das Seil sehr schnell um die Erde wickeln. Wir müssten also die Erdstation mit einer Gegenstation verbinden, die in 24 Stunden einmal um die Erde kreist. Nur dann steht sie scheinbar immer über dem gleichen Punkt der Erde. Experten sprechen von einem geosynchronen Orbit. Dafür müssen wir aber sehr viel höher hinauf, denn der geosynchrone Orbit liegt in einer Höhe von 35 786 Kilometern über der Erdoberfläche. Energetisch günstiger wäre es, das Seil noch weiter nach außen zu führen und dort ein Gegengewicht anzubringen. Würde man darauf verzichten, müsste die Erdstation einen beträchtlichen Teil des Seilgewichts tragen. Das Gegengewicht erzeugt einen Zug von der Erde weg, der – bei richtiger Auslegung – diese Belastung weitgehend ausgleicht. Damit steigt die Gesamtlänge auf mindestens 96 000 Kilometer, fünf Zehnerpotenzen mehr als bisher jemals realisiert.
Aber wie bewegt man nun einen Fahrstuhl nach oben oder unten? Die übliche Methode wäre, das Verbindungsseil als Führung zu verwenden und die Kabine an einem Tragseil hochzuziehen. Das würde die ganze Konstruktion jedoch extrem schwer machen, schließlich wäre das Tragseil genauso lang wie der Verbindungsstrang. Alle vorgestellten Pläne sehen deshalb einen so genannten Climber vor, ein Kletterfahrzeug, das am Verbindungsseil hochfährt. Nach heutigem Stand ist es unmöglich, im Führungsseil eine Stromversorgung anzubringen. Aber von irgendwo müssen die Motoren im Climber ihre Energie beziehen. Selbst die besten Batterien oder Brennstoffzellen wären viel zu schwer dafür. Die NASA arbeitet an einem kleinen Atomreaktor, der zehn Kilowatt Leistung liefern soll. Das wäre sicher ein Anfang, reicht aber nicht für einen Climber, der Passagiere transportieren soll. Größere Systeme erfordern schwerere Abschirmungen, und damit ist auch diese Art der Energieversorgung ungeeignet. Einige Arbeitsgruppen sind auf die Idee gekommen, einen starken Laserstrahl auf den Boden des Climber zu richten. Solarzellen wandeln das Licht in elektrischen Strom um, der die Motoren antreibt und das Bordnetz versorgt. Die Technologie dafür muss aber noch verfeinert werden.
Die Realisierung eines Weltraumaufzugs liegt also sicher noch einige Jahrzehnte von uns entfernt. Die Obayashi Corporation in Japan, ein milliardenschweres Bauunternehmen, hat trotzdem schon konkrete Pläne dafür entwickelt. Sie kündigte 2014 an, bis 2050 einen Weltraumlift zu bauen. In einem eindrucksvollen Youtube-Video erklärt sie ihr Vorhaben in allen Einzelheiten. Allerdings räumen die Planer deutlich ein, dass sie noch nicht alle technischen Probleme gelöst haben. Auch Sciencefiction-Autoren wie Arthur C. Clarke (»Fahrstuhl zu den Sternen«, 1979) oder Frank Schätzing (»Limit«, 2009) haben sich schon mit dem Thema beschäftigt.
Brian McManus geht in seinem sehenswerten Video »Are Space Elevators Possible« auf einige grundsätzliche Herausforderungen ein, die künftige Konstrukteure meistern müssen, bevor wir an einem Seil in den Weltraum klettern können. Einige davon wurden in diesem Artikel schon vorgestellt, andere betreffen die Eigenschaften des Seils. Hier wird das Video deutlich technischer, und auch Naturwissenschaftler und Ingenieure kommen auf ihre Kosten. McManus' Fazit ist eindeutig: Vorläufig gibt es kein Material, das für das Seil in Frage kommt. Kohlenstoff-Nanoröhren oder Graphenfasern erfüllen zwar die Anforderungen an Gewicht und Tragkraft, aber niemand hat es bisher geschafft, sie auch nur annähernd in der nötigen Länge zu produzieren.
Sollte es gelingen, alle Probleme zu lösen, würde der Transfer von Nutzlasten in den Weltraum schlagartig viel billiger werden. 200 US-Dollar pro Kilogramm ist ein oft genannter Wert, Optimisten wie Peter Swan, Direktor des International Space Elevator Consortium, hoffen auf 60 US-Dollar. Zum Vergleich: Der Transport mit dem Spaceshuttle kostete 20 000 US-Dollar pro Kilogramm Nutzlast, inzwischen ist der Preis bei aggressiven Anbietern wie SpaceX auf unter 5000 US-Dollar gesunken.
Etwas einfacher wäre die Realisierung von Weltraumliften, die an den Mond angebunden sind. Der Mond hat eine deutlich geringere Schwerkraft, und deshalb ließen sich eventuell Materialien einsetzen, die schon heute verfügbar sind. Die angehenden Astronomen Zephyr Penoyre and Emily Sandford von der Columbia University in New York haben eine Abhandlung geschrieben, in der sie diesen Vorschlag durchrechnen. Sie ist noch nicht in einem begutachteten Journal erschienen, sondern bisher nur auf dem Preprint-Server Arxiv.org hinterlegt.
Sollten solche Weltraumaufzüge auf der Erde, dem Mond oder dem Mars tatsächlich gebaut werden, hätte die Menschheit eine gute Chance, zu einer multiplanetaren Spezies zu werden. Aber bis dahin dauert es mindestens noch einige Jahrzehnte. Und besonders gemütlich sollte man sich die Reise auch nicht vorstellen. Der Climber braucht für den Weg zur Raumstation vermutlich etwa so lange wie die Transsibirische Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok – etwa sechs Tage. Und anders als im Climber kann man sich dort immerhin zwischendurch die Füße vertreten.
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