Neurowissenschaft: Gehirne vor Gericht
Alan Alda, Schauspieler, Regisseur und Wissenschaftsjournalist, versprüht den speziellen Charme eines neugierigen Großvaters, der mit seinen Enkeln die Welt erkundet – ein wenig naseweis, aber nie überheblich und stets zu Scherzen aufgelegt. Dabei besitzt er die Gabe, komplizierte Phänomene auch Laien zugänglich zu machen: Die Wissenschaftskommunikation ist eine der vielen Leidenschaften des mehrfachen Emmy- und Golden Globe-Gewinners, der in den Siebzigerjahren als Hauptdarsteller der Serie MASH bekannt wurde und die US-Wissenschaftssendung Scientific American Frontiers mehr als eine Dekade lang moderierte. Er lehrt außerdem Journalismus an der Stony Brook University in New York und ist Namensgeber des dortigen Alan Alda Center for Communicating Science.
In der zweiteiligen Dokumentation "Brains on trial" bringt der bald Achtzigjährige – in gut verständlichem Englisch – Licht ins Dunkel der US-amerikanischen Rechtssprechung. Zunächst stellt er ein simples Verbrechen nach – in den juristischen Hauptrollen jeweils ein echter Richter, Staatsanwalt und Verteidiger. Drei junge Männer haben einen Laden überfallen; einer von ihnen schoss auf eine Frau und verletzte sie schwer. Der Film zeigt im Wechsel, wie Richter, Anwälte und Zeugen die Tat rekonstruieren und wie Psychologen und Hirnforscher jene Fragen zu klären versuchen, die sich im Laufe eines Strafprozesses häufig stellen: Lügt die Zeugin? Wie verlässlich sind die Augenzeugen? Hat der Angeklagte bewusst oder im Affekt abgedrückt?
Mehr als zwei Dutzend Wissenschaftler hat Alda dafür befragt, einige davon in ihren Labors besucht und sich selbst manchen Tests unterzogen. Immer wieder fragt er nach: "Für mich klingt das ziemlich nach Gedankenlesen – können Sie das? Was ist heute schon möglich? Was könnte vor Gericht eines Tages verwendet werden? Und ist das auch gut so?"
Den Fallstricken der Technik gilt sein besonderes Augenmerk, zum Beispiel bei der Lügendetektion. Zum Schein begeht er selbst einen Diebstahl, um danach den Wissenschaftler per Hirnscanner herausfinden zu lassen, was er geklaut hat: einen Ring oder eine Uhr? In diesem Fall findet der Forscher zwar die Wahrheit heraus. Doch weil das Verfahren fehleranfällig ist, Jurys aber übermäßiges Vertrauen in Hirnbilder hegen, warnen viele Experten vor einer Anwendung vor Gericht.
Alda demonstriert dem Zuschauer viele experimentalpsychologische Paradigmen, mit denen Kriminologen die psychischen Prozesse von Tätern, Zeugen und Richtern untersuchen. Zum Beispiel die Bedeutung der Mittäter: Dazu stellt der Psychologe Laurence Steinberg von der Temple University in Philadelphia die jugendliche Lust am Risiko mit dem "Stop Light Game" auf die Probe. Bei diesem Computerspiel können die Probanden am virtuellen Steuer an einer Kreuzung durch waghalsiges Fahren punkten, riskieren aber auch einen Unfall. Für Erwachsene spielt es keine Rolle, ob sie sich dabei von Freunden beobachtet wissen – für Jugendliche schon. Der Hirnscanner zeigt, dass ihr Belohnungssystem besonders dann durch riskantes Verhalten angeregt wird, wenn Freunde zusehen. Sollte der Richter eine Tat im Beisein von Freunden also anders bewerten?
Die Dokumentation wirft viele solche Fragen auf, ohne sie zu beantworten oder konkrete Vorschläge abzuleiten. Für eine tiefergehende Diskussion etwa der Lügendetektion oder des Jugendstrafrechts bleibt bei diesem kriminologischen Rundumschlag nicht die Zeit. Deshalb bietet die Website http://brainsontrial.com noch ein Video von einer Expertendiskussion mit Alan Alda sowie zahlreiche weitere Zusatzinfos, beispielsweise zu der Frage, inwieweit Teenager für eine Straftat verantwortlich sind. Aber auch ohne diese Ergänzung gibt der Zweiteiler einen sehenswerten und kurzweiligen Überblick über die psychologischen und neurobiologischen Faktoren vor und hinter dem Richterpult.
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