Fusionsenergie: Gut gelaunte Propaganda
Zweifellos ist es zu begrüßen, wenn sich Videomacher komplexe Themen aus der Wissenschaft vornehmen. Und wenn das flotte Filmchen auch noch den Sehgewohnheiten der Twitter-Generation gefällt – gerne! Trotz aller nötigen Vereinfachungen sollte die Ausgewogenheit aber nicht auf der Strecke bleiben. So geschehen bei "Paper Science Kernfusion".
Das fünfminütige Video wurde in diesem Jahr beim Videowettbewerb Fast Forward Science eingereicht, einem gemeinsamen Projekt von Wissenschaft im Dialog und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, das auch von der Schering Stiftung unterstützt wird. Der Beitrag, der auf dem YouTube-Kanal Paper Studios veröffentlicht wurde, versucht sich an einem Erklärstück zur Stromerzeugung aus kontrollierter Kernfusion.
Heutzutage bedeutet dieses Thema vor allem, dass man über ITER spricht, also das seit 2007 in Bau befindliche internationale Fusionsexperiment im französischen Cadarache. Vielleicht ab 2027, vielleicht auch später, soll hier mehr Energie aus einem magnetisch eingeschlossenen Fusionsplasma gewonnen werden als zuvor für die Aufheizung des Plasmas hineingesteckt wurde. Bislang ist eine solche positive Energiebilanz trotz jahrzehntelanger Forschung ein Wunschtraum, ITER (lateinisch: der Weg) soll dieses Ziel endlich erreichen. Um die Stromerzeugung geht es bei dem Experiment hingegen noch nicht.
Seit längerem fällt das Megaprojekt zudem durch Verzögerungen und enorme Kostensteigerungen auf – Negativaspekte, die im Video unberücksichtigt bleiben. Zwar steuert es durchaus einige richtige Erklärungen zum Themenkomplex Fusion bei, und dank seines comicartigen Stils kann man dem Film kaum vorwerfen, nicht zu unterhalten. Aber dass er einen einseitigen Standpunkt vertritt, ist offensichtlich. Schon in den ersten zehn Sekunden stellt er die Kernfusion als preiswerte Energieoption hin, eine Behauptung, die später nicht wirklich korrigiert wird. Dabei ist auch bei oberflächlicher Beschäftigung mit dem Thema bekannt, dass derzeit keine belastbare Kostenrechnung für Fusionsstrom existiert und noch auf Jahrzehnte hinaus kaum seriös durchführbar sein wird.
Stattdessen werden die erneuerbaren Energien pauschal als teuer abqualifiziert. Experten sind anderer Meinung: Bei den Kosten für die Stromerzeugung habe die Photovoltaik den Anschluss an die nicht-regenerativen Technologien erreicht, konstatierte bereits Ende 2013 die Studie eines Fraunhofer-Instituts; sie liegen deutlich unterhalb der durchschnittlichen Strompreise für Endkunden. Noch günstiger sei die Lage an guten Windenergiestandorten.
Fazit: Stilistisch ist das Video gelungen, argumentativ jedoch in längst überholten energiepolitischen Grabenkämpfen steckengeblieben. Leider nicht preisverdächtig.
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