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Unsterblichkeit: Lässt sich Bewusstsein uploaden?

Kann man ein Backup des Gehirns erstellen und das Bewusstsein eines Menschen auf einen Computer übertragen? Harald Lesch zweifelt daran – mit zweifelhaften Argumenten.
Gehirnupload in die Cloud | Harald Lesch

Veröffentlicht am: 23.05.2018

Laufzeit: 0:07:09

Sprache: deutsch

Untertitel: ohne Untertitel

Der YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co wird vom ZDF in Zusammenarbeit mit objektiv media produziert.

Ob alpha centauri auf BR-alpha oder Terra X – Faszination Universum im ZDF: Diese Sendungen waren in den 1990er und frühen 2000er Jahren ein wichtiger Teil der Amateurbildung in Astrophysik. Als Professor für Physik an der Uni München war der Moderator Harald Lesch dafür auch gut aufgestellt. Heute produziert er für den YouTube-Kanal Terra X Lesch & Co. Videos für das ZDF. Dabei beschränkt er sich nicht mehr auf die Erkenntnisse der Astronomie und Astrophysik, sondern versucht sich an der Philosophie des Geistes – unterfüttert mit falsch verstandener und ignorierter Hirnforschung.

Aufhänger für dieses Video ist das Geschäftsmodell der Firma Nectome, eines amerikanischen Start-ups, das von dem ehemaligen MIT-Studenten Robert McIntyre mitgegründet wurde. Nectome bietet zahlenden Kunden an, sie kurz vor ihrem Tod einzufrieren und ihr Gehirn aufzubewahren. In mittlerer bis ferner Zukunft sollen dann Ärzte das Gehirn in allen mikroskopischen Details scannen und die Information über seine Struktur auf einen Computer übertragen, der das »Selbst« der Person gleichsam auferstehen lässt.

An solchen Versprechen gibt es durchaus sinnvolle Kritik, auch aus Sicht der Hirnforschung. Zum Beispiel ist es heute noch unmöglich, größere multizelluläre Lebewesen einzufrieren und lebendig wieder aufzutauen. Auch ethisch drängen sich berechtigte Einwände gegen solche Pläne auf. Schließlich müsste man das noch lebende Gehirn einfrieren, um die massiven Schäden des Sterbeprozesses zu vermeiden.

Harald Lesch konzentriert seine Kritik aber auf die vermeintliche Unmöglichkeit, ein Bewusstsein samt persönlicher Inhalte auf einen Computer zu übertragen. Er argumentiert dabei eher aus einer sehr vagen philosophischen, teilweise fast religiös klingenden Perspektive statt aus einer wissenschaftlichen. Und dabei unterlaufen ihm einige Fehler.

Am Beispiel einer nicht näher zitierten Studie an eingefrorenen Fadenwürmern wirft Lesch eine große Frage auf: »Ist das Selbst tatsächlich in den Vernetzungen des Gehirns angelegt?« Seine Antwort: »Die Innenperspektive steht uns messtechnisch nicht zur Verfügung.« Daher könne man niemals ein Selbst aus der Struktur des Gehirns auslesen. Leider ist diese Schlussfolgerung nicht nur wissenschaftlich gesehen problematisch.

Zwar lässt sich tatsächlich die subjektive Innenperspektive eines Menschen nur indirekt über seine Aussagen oder sein Verhalten in einem Experiment erfassen. Aber immerhin kann man die Hirnaktivität, die mit Bewusstsein korreliert, selbstverständlich erforschen und im Prinzip auch messen. Nichts anderes tut etwa die Schlafforschung, wenn sie aus Mustern des Elektroenzephalogramms (EEG) und Magnetresonanztomografie-Scans Aussagen darüber trifft, ob jemand gerade schläft oder nicht. Ein ganzer Forschungszweig der Hirnforschung widmet sich darüber hinaus den »neuronalen Korrelaten des Bewusstseins«, angestoßen in den 1990er Jahren vom Mitentdecker der DNA, Francis Crick, und dem Caltech-Hirnforscher Christof Koch. Mittlerweile kennen wir ein paar der minimal notwendigen Bedingungen dafür, dass Bewusstsein aus der Hirnaktivität hervorgehen kann. Beispielsweise schreiben Koch und seine Kollegen in einem Übersichtsartikel in »Nature« aus dem Jahr 2016, eine Kombination aus Hirnstimulation und EEG könne »das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Bewusstseins bei gesunden Menschen, die wach sind, tief schlafen oder unter verschiedenen Narkosearten und bei Patienten mit Bewusstseinsstörungen auf Einzelpersonenebene vorhersagen«. Man muss kein Hirnforscher sein, um zu verstehen, dass die Muster der Hirnaktivität und das Vorhandensein einer »Innenperspektive« untrennbar gekoppelt sind und dass aus praktischer Sicht nichts dagegen spricht, die Korrelate des Bewusstseins exakt zu kopieren.

Zwar hat Harald Lesch Recht, wenn er sagt, dass das Bewusstsein vermutlich eine emergente Eigenschaft ist, also eine, die man nicht aus den Eigenschaften der Bausteine des Nervensystems vorhersagen kann. Aber das ist kein Grund zur Annahme, dass die emergente Eigenschaft Bewusstsein nicht auch in künstlichen Systemen entstehen kann, beispielsweise in solchen, die die Struktur eines bestimmten Gehirns perfekt nachbilden. Das zu behaupten, ist ein banaler Fehlschluss.

Auch zur Emergenz gibt es heute reichlich spannende Forschung. Beispielsweise hat der italienische Neurowissenschaftler Giulio Tononi von der University of Wisconsin-Madison zusammen mit seinem Forscherteam eine mathematische Theorie der »Integrierten Information« entwickelt, die erklären könnte, warum emergente Eigenschaften aus komplexen informationsverarbeitenden Systemen wie dem Gehirn hervorgehen (siehe hierzu auch diesen Beitrag auf spektrum.de/video). Man muss solchen Modellen der Emergenz im Hirn nicht zustimmen. Erwähnen muss man sie aber, wenn man die Öffentlichkeit wirklich informieren will.

Sicher, geklärt ist nicht, wie das Gehirn eine Innenperspektive hervorbringt. Wer das Thema aber öffentlich diskutiert, sollte sich mit den verfügbaren Erkenntnissen vertraut machen, statt einem aus heutiger Sicht obskuren Dualismus von Geist und Materie im Sinne des französischen Philosophen René Descartes das Wort zu reden. Es ist schließlich nicht 1641, und seit Descartes' »Meditationen« aus ebendiesem Jahr haben wir durchaus etwas über das Verhältnis von Gehirn und Bewusstsein hinzugelernt.

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