Studien: Schlank durch Schokolade?
Am 5. Juni zeigte Arte erstmals die Dokumentation Schlank durch Schokolade – Eine Wissenschaftslüge geht um die Welt von Peter Onneken und Diana Löbl zu einer gefälschten Schokostudie. Der Kernaussage, dass auch auf wissenschaftlichen Studien basierende Ernährungstipps generell wenig brauchbar sind, habe ich ja auf Spektrum.de schon wohlwollend beigepflichtet. Aber auch die Doku, wie das Arte-Duo, der Wissenschaftsjournalist John Bohannon und ihre Mitwisser das Ding durchgezogen haben, ist absolut sehenswert.
Hinweis der Redaktion: Hier ist nur der Trailer zu sehen. Wiederholungen der Sendung: 18. Juni 2015, 2 Uhr 35, und 24. Juni 2015, 10 Uhr 10. Anschließend jeweils 7 Tage lang in der Mediathek abzurufen. Zur Sendungsseite.
Vor allem erzählen die Protagonisten in der Dokumentation viel Wahres über die Probleme mit solchen Studien. Dass zum Beispiel die weit verbreiteten beobachtenden Studien nur Korrelationen messen und keine Ursache-Wirkungs-Beziehungen, oder auch, wie glaubwürdig Selbstauskünfte sind. Manches stellen sie verkürzt oder vermischt dar, aber ein so komplexes Thema umfassend zu behandeln liegt jenseits der Möglichkeiten einer solchen Sendung.
Auch die anderen Mitspieler der Verwertungskette kriegen von Onneken und Löbl ihr Fett weg, zum Beispiel Journalismus und Massenmedien, in diesem Falle repräsentiert durch einen Haufen fast identisch aussehender Hochglanzblätter, wie man sie an jeder Tankstelle zu Dutzenden aus dem Zeitschriftenregal zieht. Besonders auf den Deckel kriegt allerdings die Deutsche Adipositas-Gesellschaft, deren S3-Leitlinie im Wesentlichen von Vertretern der Diät-Industrie in deren Sinne gestaltet wird – zumindest suggeriert das die Doku.
Immerhin nehmen sich die Produzenten die Zeit, den Ernährungsmediziner Hans Hauner von der TU München ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Der erklärt dann auch, dass die Unsicherheiten der Studien und die personellen Verquickungen zwischen den Autoren und den empfohlenen Anbietern tatsächlich ein Problem sind.
Ich würde den Autoren an diesem Punkt nicht unbedingt einen Vorwurf machen, aber das ist einer der Momente, über die ich gestolpert bin. Wir sagen immer, Wissenschaftler sollen bitte auch offen über Unsicherheiten und Probleme in der Forschung reden – aber wenn das dann einer macht, wird das gleich mit suggestiven Formulierungen gegen ihn verwendet, um die vorab festgelegte Story voranzutreiben. Das Misstrauen gegenüber Journalisten, das in der Wissenschaft so verbreitet ist, erweist sich zumindest hier als nicht völlig unberechtigt.
Aber das ist nur ein nebensächlicher Punkt im Vergleich zu dem Aspekt, über den ich mich dann wirklich geärgert habe: Onneken und Löbl stellen extra noch einmal groß heraus, dass sich die Ernährungs-Empfehlungen auf von unabhängigen Gutachtern geprüfte Studien berufen, und sagen dann explizit, das sei ihr Ansatzpunkt gewesen, das auch zu versuchen.
An diesem Punkt führen sie die Zuschauer in die Irre, denn diesen so genannten peer review gab es bei ihrer Untersuchung ja gerade eben nicht. Bohannon schreibt in seinem Artikel selbst: "And almost no one takes studies with fewer than 30 subjects seriously anymore. Editors of reputable journals reject them out of hand before sending them to peer reviewers." Der ganze Wir-zeigen-hier-dass-man-der-Wissenschaft-nicht-trauen-kann-Dreh in diesem Teil des Films ist ziemlich zurechtgebogen.
Anders als sie suggerieren, haben sie sich auch keine beliebige open-access-Zeitschrift herausgesucht (zum Beispiel eine mit Gutachterprozess, von denen es ja genug gibt), sondern ganz gezielt betrügerische Zeitschriften, die für Geld alles veröffentlichen – sie zeigen im Film sogar kurz Bealls Liste der unseriösen Verlage. Es ist natürlich klar, weshalb sie so vorgehen: Gutachten kosten Zeit. Es hätte eine ganze Weile gedauert und wohl mehrere Submissions erfordert, die Studie durchzubringen. Insofern verstehe ich die Überlegung dahinter, eben nicht den Weg der seriösen Veröffentlichung zu nehmen, auf den sich zum Beispiel die DAG beruft. Man darf diesen nicht ganz unwesentlichen Unterschied dann aber auch gerne dem Publikum klar sagen.
Die Studie selbst ist natürlich der Höhepunkt der Geschichte – wir haben schließlich alle schon mal davon geträumt, genau so etwas mal durchzuziehen, mit fauler Statistik und allem. Das erzählen sie natürlich sehr genüsslich in allen schmutzigen Details. Allein dafür sollte man sich die Dokumentation ansehen.
Was am Ende der ganzen Geschichte bleibt ist – um eine Szene aus dem Interview mit Hauner zu zitieren – ein G'schmäckle: Es sieht nämlich sehr so aus, als würden die Autoren beim Thema peer review gezielt verwirren, um die Leitlinien der DAG auf eine Stufe mit jenen Publikationen stellen zu können, die nachher die Schokoladenstudie unreflektiert abdrucken. Anderenfalls funktioniert die gesamte Doku in dieser Form nicht mehr so richtig.
Und dann ist da natürlich noch der ganze Komplex an ethischen Fragen, die andere Kollegen bereits aufgeworfen haben. Zum Beispiel eben, ob Journalisten betrügen dürfen, um Betrug offenzulegen. Der Wissenschaftsjournalist Seth Mnookin nennt das Vorgehen "equivalent of telling someone their water supply isn't safe by pissing into it", während Ashutosh Jogalekar die ganze Geschichte tendenziell eher positiv sieht.
Ich persönlich habe ja nicht so das Problem damit, dass die Leute Journalismus und Wissenschaft da so ein bisschen pauschal-unfair hinhängen, zumal das grundsätzliche Problem ja unzweifelhaft besteht, und keineswegs nur bei den Ernährungsstudien. Was mir da viel mehr Sorgen macht, ist die meiner Meinung nach ganz erhebliche Verletzung der medizinischen Ethik. Im Film heißt es dazu nur sinngemäß, kein Ding, Schokolade ist ja harmlos. Nur: Es ist ja nicht nur die Schokolade. Es ist auch ein low-carb-Diätregime (wo das wohl herkommt?) und vor allem die Blutproben.
Und da ein Heidelberger Arzt beteiligt ist, greift §15 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg: Körperliche Integrität, Ethikkommission, Offenlegung der Beziehung zu den Auftraggebern im Paper und so weiter. Nicht zuletzt könnte man sich wohl auch auf den Standpunkt stellen, dass eine in betrügerischer Absicht an Menschen durchgeführte Studie grundsätzlich Körperverletzung sei. Ich will das nicht beurteilen, aber ich denke, darüber wird man noch reden müssen.
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