Lexikon der Biologie: egoistische Gene
egoistische Gene, selfish genes (von R. Dawkins geprägte Bezeichnung), Gene bzw. Allele, die ausschließlich ihre eigene Vermehrung bewirken (auch wenn dabei für die Träger dieser Gene ein Nachteil entsteht), also entgegen der Annahme, daß alle Gene und Genprodukte eines Individuums optimal aufeinander abgestimmt sind, um die Fortpflanzung des Individuums zu gewährleisten. Egoistische Gene greifen z. B. bei der Segregation an, d. h. der Zufallsverteilung von mütterlichen und väterlichen Chromosomen auf die Meioseprodukte (Eizelle, Spermien). Solche segregation distorter (SD) bewirken, daß bei der Reifung der Meioseprodukte alle diejenigen Vorläuferkerne absterben, welche nicht das SD-Gen besitzen. Dieser Prozeß wird auch meiotic drive genannt. An das X-Chromosom gebundene SD sind von einer Reihe von Fliegenarten bekannt. Das SD-Gen bewirkt bei den Männchen der Fruchtfliege (Drosophila), daß nach der Spermatozoen-Reifung nur noch solche Spermatozoen übrig sind, die das SD-Gen tragen. Da dieses an das X-Chromosom gebunden ist, werden weitaus mehr weibliche Nachkommen produziert als erwartungsgemäß der Fall wäre. Bei Stielaugenfliegen produzieren XsdY-Männchen normale Xsd-Spermien und degenerierte Y-Spermien. Auch hier ist das Geschlechterverhältnis (Geschlechtsverhältnis) der Nachkommen stark zu Weibchen hin verschoben. Das egoistische genetische Element Xsd vermehrt sich, da es seine Übertragungsrate in die nächste Generation erhöht. Es ist jedoch nicht ohne Kosten für den Organismus, da die Hälfte der Spermien verloren gehen, das verschobene Geschlechterverhältnis normalerweise von Nachteil ist und zumindest bei manchen Arten gezeigt wurde, daß die Lebensfähigkeit der Weibchen durch das SD-Gen beeinträchtigt wird. Diese nachteiligen Effekte verhindern die vollständige Fixierung des SD-Gens. – Neuerdings wurden bei Stielaugenfliegen Y-gebundene genetische Elemente bekannt, die den meiotic drive unterdrücken. Der Yu-Unterdrücker wird von der Wirkung des Xsd-Gens nicht berührt. Yu-Spermien scheinen bei XsdYu-Männchen nicht zu degenerieren, und folglich ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Beide Elemente, der SD und der Unterdrücker U, liegen polymorph in der Population vor. Dies läßt vermuten, daß auch das Yu-Chromosom Kosten verursacht. Wenn dies der Fall ist, dann verbreitet sich Yu, wenn Xsd häufig ist, nicht aber, wenn es selten vorkommt. Dieser Polymorphismus scheint tatsächlich zu bestehen. – Die Invasion und Verbreitung von egoistischen Genen und ihren Unterdrückern scheint einen Interessenskonflikt zwischen Elementen des Genoms aufzuzeigen. Dies scheint auch zwischen cytoplasmatischen und autosomalen Genen der Fall zu sein. Cytoplasmatische Gene werden vorwiegend durch Weibchen an die nächste Generation weitergegeben und können einen Vorteil erhalten, d. h. in höherer Kopienzahl vorliegen, wenn das Geschlechterverhältnis in Richtung Weibchen verschoben ist. Autosomen können durch Selektion bevorzugt werden, wenn sie ein 1:1-Geschlechterverhältnis in der Population wiederherstellen können. Es besteht theoretisch die Möglichkeit, daß Konflikte, die sich im Genom abspielen, in der Evolution eine große Bedeutung hatten und haben. – Egoistische Gene können auch in Endosymbionten zu finden sein, z. B. bei den intrazellulär in den Gonaden verschiedener Insektengattungen lebenden bakteriellen Endosymbionten, wie Wolbachia (Wolbachieae). Sie werden nur mütterlich vererbt und beeinflussen den Wirt derart, daß hauptsächlich Weibchen entstehen. Schlupfwespen werden durch die Symbionten dazu veranlaßt, sich parthenogenetisch zu vermehren. Bei anderen Gruppen induziert Wolbachia eine cytoplasmatische Inkompatibilität bei der Eientwicklung. Bei mehr als 20% der bisher untersuchten Insektenarten wurde das für Wolbachia charakteristische ftsZ-Gen gefunden. – Die molekularen Mechanismen der egoistischen Gene sind derzeit noch nicht geklärt. Ihre Wirkung und Häufigkeit sind jedoch seit einiger Zeit wichtige Themen in der Populationsgenetik (Ausbreitung und Aussterben von Populationen) und in der Evolutionsbiologie. Egoistische Gene können demnach Initiatoren für wichtige Veränderungen in der Evolution sein (Evolution von Sexualität, Meiose, Entwicklung zur Vielzelligkeit usw.). Auch im menschlichen Genom gibt es egoistische genetische Elemente. Dazu zählen die transponierbaren Elemente (springende Gene, Transposonen) und die B-Chromosomen. Die B-Chromosomen sind neben dem normalen Chromosomensatz schlichtweg überzählig und scheinbar ohne negativen Einfluß. Egoismus, Soziobiologie.
G.U.
Lit.: Dawkins, R.: Das egoistische Gen. Heidelberg, Berlin 1994. Hurst, L.D. (1992): Intragenomic conflict as an evolutionary force. Proc.R.Soc.Lond.B. 248, 135–140. Wilkinson, G.S.; Presgraves, D.C., Crymes, L. (1998): Male eye span in stalk-eyed flies indicates genetic quality by meoitic drive suppression. Nature 391, 276–279.
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