Lexikon der Biochemie: Ubiquitin
Ubiquitin, ATP-abhängiger Proteolysefaktor 1, APF-I, ein kleines Polypeptid, Mr 8,5kDa, das erstmals während der Reinigung von Polypeptidhormonen aus Thymus isoliert wurde. U. wurde dann auch in Vertebraten, Nichtvertebraten, Pflanzen und Hefe gefunden. Frühere Vermutungen, dass U. Differenzierung von Thymocyten induziert und Adenylat-Cyclase stimuliert, konnten nicht bestätigt werden. Die Bezeichnung ubiquitous immunopoietic polypeptide (UBIP) ist daher nicht zutreffend. Die Primärstruktur von U. ist bei Insekten, Forelle, Rind und Mensch beinahe identisch.
Durch Ubiquitinierung werden Proteine spezifisch für den Abbau durch Proteasomen gekennzeichnet. Die N-terminale Ubiquitinierung scheint notwendig und ausreichend für diesen U.-abhängigen Abbau proteolytischer Substrate zu sein. Eine Acetylierung der N-Termini in vivo blockiert die U.-abhängige Proteolyse (in vitro gemessen). Die N-terminale Acetylierung könnte daher Proteine in vivo vor dem Abbau schützen, weil dadurch eine Ubiquitinierung verhindert wird. U.-abhängige Proteolyse ist ATP-abhängig. ATP wird für die Synthese des U.-Protein-Komplexes und für den nachfolgenden Abbau des proteolytischen Substrats benötigt (Abb. 1). Wie in Abb. 1 gezeigt wird, verläuft der U.-pfad für den Proteinabbau in mehreren Einzelschritten: 1) In einer ATP-abhängigen Reaktion wird U. durch das U.-aktivierende Enzym (E1-SH) zu einem energiereichen Intermediat aktiviert. 2) U. wird auf das U.-Trägerprotein (E2-SH) übertragen, eine Reaktion, die durch U.-Protein-Ligase (E3) katalysiert wird. 3) Das konjugierte Protein wird dann durch eine hochmolekulare Protease abgebaut. Im in-vitro-System von Saccharomyces cerevisiae wird U. in Abwesenheit von E3 direkt von seinem E2-Komplex auf Histone übertragen. In Gegenwart von E3 wird U. auf ein viel breiteres Spektrum an Zielproteinen übertragen. Kloniert wurden das E2-Protein [M.L. Sullivan u. R.D. Vierstra J. Biol. Chem.266 (1991) 23.878-23.885] und spezifische Proteinasen [J.W. Tobias u.a. Varshavsky J. Biol. Chem. 266 (1991) 12.021-12.028]
Das Chromosomenprotein A24, jetzt uH2A (Ubiquitin-H2A-Semihiston) genannt, ist der bekannteste Vertreter einer Familie verzweigter Proteine, in dem das C-terminale Glycin (76) von U. über eine Isopeptidbindung an die ε-NH2-Gruppe von Lysin-119 des Histons 2A gebunden ist. Die Ubiquitinierung vieler intrazellulärer Proteine an den ε-Aminogruppen ihrer Lysinreste (unter Bildung verzweigter U.-Proteinkonjugate) könnte eine physiologische Rolle von U. sein, die von der gesicherten Funktion beim Proteinabbau verschieden ist. In Interphasenzellen steht U. von uH2A und uH2B in schnellem Gleichgewicht mit freiem U. Wenn die mitotische Chromosomenkondensation vollendet ist, nehmen die Konzentrationen von uH2A und uH2B in den Chromosomen merklich ab (möglicherweise auf Grund enzymatischer Desubiquitinierung). Während der postmitotischen Chromosomendekondensation werden wieder rasch normale Konzentrationen erreicht.
Die DNA-Sequenzen für U. wurden aus einer Vielzahl von Eukaryonten kloniert. U. wird durch Prozessierung des poly-U.-Vorstufenproteins gebildet. U.-kodierende Elemente sind typischerweise in lückenlosen Kopf-Schwanz-Anordnungen organisiert, wobei die Anzahl kodierender Wiederholungen je nach Organismus variiert, z.B. sechs bei Hefe und neun beim Menschen (Abb. 2).
Die Ubiquitinierung spielt zusätzlich zur gut untersuchten Rolle der Zielsteuerung von Proteinen für den Abbau auch eine Rolle bei der zellulären Signalgebung. So dient z.B. die Ubiquitinierung des Hefe-Plasmamembranrezeptors Ste2p (ein G-Protein-gekoppelter Rezeptor, der ein Reifungspheromon bindet) als Signal für dessen ligandenstimulierte Endocytose.
[J.G. Gavilanes et al. J. Biol. Chem. 257 (1982) 10.267-10.270; A. Hershko Cell34 (1983) 11-12; D. Finley u.a. Varshavsky Trends Biochem. Sci. 10 (1985) 343-347; R. Hough u. M. Rechsteiner J. Biol. Chem. 261 (1986) 2.391-2.399; A. Herschko J. Biol. Chem. 263 (1988) 15.237-15.240; M. Rechsteiner (Hrsg.) Ubiquitin, Plenum Publishing Corporation 1988; A. Ciechanover u.a.L. Schwartz Trends Biochem. Sci. 14 (1989) 483-488; G. Sharon et al. J. Biol. Chem. 266 (1991) 15.890-15.894; L. Hicke u. H. Riezman Cell84 (1996) 277-287]
Ubiquitin. Abb. 1. Rolle des Ubiquitins beim Abbau von Proteinen und verzweigten Proteinen. E1-SH = Ubiquitin-aktivierendes Enzym. E2-SH = eine Transferase, die Ubiquitin zum Konjugationsort transferiert. E3 = eine Ligase, die die Amidbindungsbildung katalysiert. Alle drei Enzyme wurden gereinigt [A. Hershko J. Biol. Chem. 258 (1983) 8.206-8.214]. U-Gly-COOH stellt Ubiquitin mit seinem C-terminalen Glycin dar. Desubiquitinierungs-Enzyme wurden ebenfalls charakterisiert [C.M. Pickart u. I.A. Rose J. Biol. Chem. 261 (1986) 10.210-10.217; S.-I. Matsui et al. Proc. Natl. Acad. Sci. USA79 (1982) 1.535-1.539]
Ubiquitin. Abb. 2. Strukturelle Organisation des poly-Ubiquitin-Vorstufenproteins von Saccharomyces cerevisiae, abgeleitet von der Nucleotidsequenz des Ubiquitingens. Die Pfeile weisen auf die Stellen der proteolytischen Spaltung während des Reifungsprozesses hin. Der C-Terminus (hier Asn) variiert in Abhängigkeit vom Organismus, z.B. Val bei Mensch, Tyr bei Huhn.
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