News: Ötzis Speiseplan
Erstaunlicherweise bleiben jedoch Haare in vielen Grabstätten erhalten. Die eng gepackten Proteine – die sogenannten Alpha-Keratine –, aus denen das Haar besteht, sind wasserbeständig und deswegen wesentlich schwerer abbaubar. Demnach kann Haar, wie Gert Lubecs von der Universität Wien und sein Team im The Federation of American Societies for Experimental Biology Journal vom März 1999 (vollständiger Artikel)erläutert, nicht nur Momentaufnahmen der Ernährung ferner Vorzeiten liefern, sondern uns auch – dank der sich entlang der Haarlänge widerspiegelnden Zeitskala – detaillierte Einblicke in die Eßgewohnheiten über Monate und Jahre hinweg geben.
Die Forscher entnahmen Haarproben vom Eismenschen, der in den Ötztaler Alpen über 5000 Jahre lang erhalten geblieben ist, und verglichen sie mit Proben von heute lebenden Veganern (nehmen auch keine Eier, Honig, Milch oder Produkte daraus zu sich), Vegetariern (essen kein Fleisch oder Fisch) und Allesessern. Außerdem untersuchten sie etwas Ziegenfell, das mit dem Körper gefunden wurde. Alle Proben wurden mit Alkohol gereinigt, um Oberflächenöle und -proteine zu entfernen, die eine Analyse der Zusammensetzung verfälschen könnten.
Wie Lubecs Team herausfand, war das uralte Keratin der Haare hervorragend erhalten geblieben. Es verfügte über erstaunlich ähnliche Anteile von Aminosäuren – die Bausteine der Proteine – wie unser heutiges Haar, obgleich sich die Gesamtmengen einiger Substanzen über die Zeit hinweg verringert haben.
Die Wissenschaftler konnten nachweisen, daß der Eismensch in erster Linie Vegetarier war, wie es seine Zahnabnutzung bereits vermuten ließ. Das ergaben die Analysen der stabilen Kohlenstoff- und Stickstoffisotope der Haar- und Pelzproben sowie einiger grasähnlicher Pflanzen, die die Ziege gefressen haben könnte. Ötzis Stickstoffwerte entsprechen in etwa denen eines modernen Vegetariers. Die Kohlenstoffwerte lassen darauf schließen, daß seine Nahrung zu einem Großteil aus Körnern bestand. "Von einer streng pflanzlichen Ernährungsweise kann man indes nicht sprechen", fügten die Forscher hinzu. "Kleine Mengen tierischen Proteins auf dem Speiseplan könnten durch den Verzehr hoher Dosen pflanzlichen Proteins überdeckt sein."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 28.10.1998
"Das Haar in der Suppe"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 27.1.1998
"Erkenntnisse mit Eismann-Technik"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
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