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News: Wegweiser zu besseren Alzheimer-Medikamenten

Forscher am Weizmann Institut haben exakt das Wesen der dreidimensionalen Interaktion zwischen Galanthamin, einer natürlichen Substanz, die aus Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) gewonnen wird, und dem Gehirnenzym Acetylcholinesterase (AChE) aufgezeigt. AChE ist ein wichtiges Enzym, welches bei der Alzheimerschen Krankheit eine Rolle spielt. Sie hoffen damit wesentliche Hinweise zur Entwicklung einer neuen Generation von Alzheimer-Medikamenten liefern zu können.
Die Alzheimersche Krankheit ist eine schwere degenerative Störung, die bei etwa zehn Prozent aller alten Menschen Gedächtnisverlust und andere Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten hervorruft. Ein wichtiges pathologisches Kennzeichen der Krankheit ist der Verfall von Nervenzellen, die Acetylcholin freisetzen – ein Neurotransmitter, der "Botschaften" in Form von Nervenimpulsen zwischen Gehirnzellen transportieren hilft. Der aus diesem Verfall folgende Mangel an Acetylcholin verschlimmert sich durch die Wirkung von Acetylcholinesterase (AChE), dem Enzym, das Acetylcholin im Körper mit der erstaunlichen Geschwindigkeit von 20 000 Molekuelen pro Sekunde abbaut.

Obwohl Wissenschaftler die Ursache für die Krankheit noch nicht ergründet haben, gibt es bereits eine Reihe von Medikamenten gegen Alzheimer, darunter Aricept, Huperzine A und Tacrine (Cognex). Allen gemeinsam ist, daß sie versuchen, den Acetylcholin-Spiegel wiederherzustellen, indem sie die Aktivitaet des AChE hemmen.

Mit Hilfe von Röntgenkristallographie hat Harry Greenblatt von der Abteilung Strukturelle Biologie des Weizmann Instituts entdeckt, daß Galanthamin auf aehnliche Weise wirkt: Es erhöht den Acetylcholin-Spiegel, indem es an das katalytische Zentrum von AChE bindet und seine "Zerkleinerungsmaschine" abstellt. Wie Greenblatt und seine Kollegen jedoch herausfanden, scheint Galanthamin neben der Erhoehung der Acetylcholin-Werte noch einen zusaetzlichen Vorteil zu bieten. "Zusaetzlich zu seiner Wirkung auf AChE, bindet Galanthamin auch an Acetylcholin-Rezeptoren (Proteine auf der Oberflaeche von Nervenzellen, die durch Acetylcholin aktiviert sind) und stimuliert auf diese Weise direkt die Neuronenfunktion. Studien zeigen, daß diese Wirkung ein Fortschreiten der Krankheit aufhalten kann – im Gegensatz zu den bisherigen Wirkstoffen, die die Symptome von Alzheimer lediglich eine Zeitlang lindern können", führt Greenblatt aus. "Diese doppelte Wirkung, kombiniert mit der Tatsache, daß Galanthamin weniger Nebenwirkungen hat als Tacrine und Hupoeerzine A, machen es zu einem besonders vielversprechenden Kandidaten für die Entwicklung besserer Medikamente."

Genau an dieser Stelle könnte sich die "Blaupause", die das Weizmann-Team hergestellt hat, als höchst nützlich erweisen. Einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zum Verständnis der Funktion eines Moleküls sei eine genaue bildliche Darstellung, erklärt Joel Sussman, ebenfalls Wissenschaftler am Weizmann Institut. So wurde zum Beispiel das Geheimnis der genetischen Replikation plötzlich intuitiv klar, nachdem Watson und Crick die DNA-Struktur mit ihrem Modell verdeutlicht hatten. Auf ähnlicheWeise kann man Röntgenkristallographie nutzen, um äußerst genaue "Schnappschüsse" von natürlichen Komplexen wie dem von Galanthamin mit AChE zu erzielen. "Durch die Erforschung dieser Art von Interaktion können wir sehen, wie die Modifikation bestimmter chemischer Eigenschaften diese Bindungen möglicherweise stärken kann, und dadurch wirksamere Wirkstoffe entwickeln", sagt Sussman.

Die Wissenschaftler arbeiteten mit AChE-Kristallen höchster Qualität, die aus dem elektrischen Organ der Zitterrochen gewonnen wurden, einer der reichhaltigsten Quellen dieses Enzyms. Die AChE-Kristalle des Zitterrochens wurden in Galanthamin eingelegt, und dann einem schmalen Röntgenstrahl ausgesetzt. Das resultierende Bewegungsmuster wurde in ein dreidimensionales Computerbild vom AChE-Galanthamin-Komplex umgewandelt.

Die aktuelle Studie des Weizmann Instituts (Zeitschrift der Federation of European Biochemical Societies (FEBS Letters), Ausgabe vom 17. Dezember 1999, Abstract) baut auf frühere Alzheimer-Forschungen auf, die Sussman, Silman und Michal Harel von der Abteilung Strukturelle Biologie durchgeführt haben. Vor einigen Jahren waren sie die ersten, die die dreidimensionale Struktur des AChE vollständig abbilden konnten, und sie zeigten, daß es eine tiefe, klammartige Spalte enthält, die als "aromatische Schlucht" bekannt ist, in der das Acetylcholin abgebaut wird. Später löste das Team jene Komplexe, die zwischen AChE und verschiedenen synthetischen und natürlichen Verbindungen entstehen, darunter das synthetisch hergestellte Aricept, Fasciculin – ein Schlangengift, und Huperzine A – ein chinesischer Kräuterextrakt, der seit Jahrhunderten zur Behandlung von Gedächtnisstörungen eingesetzt wird. All diese Substanzen, ebenso wie das nun untersuchte Galanthamin, haben eine Gemeinsamkeit: Obwohl ihre Art der Verbindung an AChE unterschiedlich ist, hemmen sie es, indem sie sein aktives Zentrum auf dem Boden der aromatischen Schlucht blockieren. AChE-Hemmung ist auch die Hauptwirkungsweise von Nervengasen und zahlreichen Pestiziden.

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