News: Teufelstreppe aus Wasser und Seife
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts stellte der herausragende russische Physiker Lev Landau die Theorie auf, dass sich bei einer Temperatur von null Grad Kelvin Grenzflächen mit prinzipiell allen denkbaren Millerschen Indizes ausbilden könnten. Diese theoretischen Möglichkeiten bezeichnete man später als "Teufelstreppen". Aber Physiker gingen bislang davon aus, dass nur die wenigsten Grenzflächen über dem absoluten Nullpunkt stabil sein würden. Nun haben Pawel Pieranski und seine Kollegen von der Université Paris-Sud in Orsay einen Kristall aus Seife und Wasser erzeugt, der sogar bei Raumtemperatur viele stabile Grenzflächen aufweist (Physical Review Letters vom 13. März 2000).
Bei geeigneter Temperatur und Feuchtigkeit sowie den richtigen Konzentrationen bilden die Tenside einen Komplex – ein sich gegenseitig durchdringendes Netz mit kubischer Symmetrie. Diese Art von flüssigem Kristall hat mechanische Eigenschaften, die sogar Flächen mit ausgesprochen flachen Winkeln stabilisieren können. Das Forscherteam aus Orsay platzierte einen ein Millimeter breiten Tropfen in einer Kammer mit kontrolliertem Feuchtigkeitsgehalt. Durch Erhöhen der Feuchtigkeit brachten sie die Flüssigkeit dazu, einen Kristall zu bilden, den sie mit einem Mikroskop untersuchten. Dabei konnten sie zumindest 60 verschiedene Grenzflächen identifizieren, darunter sogar einige mit so hohen Millerschen Indizes wie 11. Die Winkel der verschiedenen Flächen maßen die Wissenschaftler mit Hilfe von Laserinterferometrie, oder ermittelten sie aus der Geometrie des Kristalls.
"Diese Methodik ist ausgesprochen clever", sagt Sebastien Balibar von der École Normale Supérieure in Paris. "Ich finde es sehr eindrucksvoll, dass eine Mischung aus Seife und Wasser bei Raumtemperatur so viele Grenzflächen ausbildet, dass die Theorie überprüft werden kann."
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 28.2.2000
"Das Schwergewicht unter den Kristallen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 3/93, Seite 18
"Kristallzüchtung in Zentrifugen"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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