News: Hitzefest im Nanomaßstab
In der Nanowelt gelten jedoch andere Gesetze. Das mussten Martin Jarrold und seine Doktorand Alexandre A. Shvartsburg von der Northwestern University in Evanston feststellen, als sie Zinn-Ansammlungen von nur 15 bis 30 Atomen in ihrer Apparatur schmelzen wollten und die dafür notwendige Temperatur einfach nicht erreichen konnten. Und das, obwohl sie schon mehr als 50 Kelvin über dem bekannten Schmelzpunkt in der makroskopischen Welt waren (Physical Review Letters vom 18. September 2000, Abstract).
Die verbreitetste Methode, das Sinken des Schmelzpunktes zu verfolgen, besteht darin, eine Probe in einem Elektronenmikroskop zu erhitzen, bis die Kristallstruktur zusammenbricht. Dadurch verschwindet gleichzeitig das Beugungsmuster der Elektronen, was sich experimentell gut verfolgen lässt. Dieses Verfahren funktioniert allerdings nur mit Klümpchen von tausend oder noch mehr Atomen, für sehr viel kleinere Cluster müssen Wissenschaftler sich schon etwas Trickreicheres einfallen lassen.
Mit dem Ziel, die Eigenschaften einer Ansammlung von nur 15 Atomen zu bestimmen, verdampften Jarrold und Shvartsburg ein Stäbchen aus Zinn mit einem Laser zu einzelnen ionisierten Atomen. Durch vorsichtiges Abkühlen gewannen sie aus dem Gas Cluster von 15 bis 30 Atomen, deren exakte Größe die Forscher mit einem Massenspektrometer ermittelten. Anschließend gaben sie die Cluster in eine Drift-Kammer, die mit Helium gefüllt war und deren Temperatur sich genau einstellen ließ. Bei Anlegen einer elektrischen Spannung sollten die Atomklümpchen durch die Kammer wandern. Dabei beeinflusst ihre Form die Geschwindigkeit: Kugelförmige Ansammlungen stoßen weniger oft mit Heliumatomen zusammen und sind deshalb schneller als langgestreckte Cluster mit der gleichen Masse. Am Schmelzpunkt sollten sich die ursprünglich länglichen Zinnklümpchen zu Kugeln umformen und so einen Anstieg der Mobilität hervorrufen. Darauf warteten Jarrold und Shvartsburg – vergebens. "Wir erhöhten die Temperatur immer weiter und sahen trotzdem keinen Effekt", erinnert sich Jarrold. Bis zur Maximaltemperatur ihres Versuchsaufbaus von 555 Kelvin blieb das Zinn standhaft – 50 Kelvin über dem Schmelzpunkt von größeren Mengen Zinn.
Eine Erklärung für die Hitzebeständigkeit des Metalls haben die Wissenschaftler nicht. Möglicherweise hat es etwas mit der ungewöhnlichen langgestreckten Form zu tun, die Zinn-Cluster von weniger als 30 Atomen annehmen, spekuliert Jarrold. Auch winzige Ansammlungen von Silicium und Germanium nehmen diese Form ein, doch deren Schmelzpunkte liegen sowieso zu hoch für die Laborausstattung von Jarrolds Arbeitsgruppe. Computersimulationen kommen anscheinend zu den gleichen Ergebnissen wie die Forscher aus Evanston. Sie prognostizieren für sehr kleine Zinn-Cluster einen Schmelzpunkt oberhalb von 900 Kelvin, und auch Silicium und Germanium sollten erst bei höheren Temperaturen weich werden als ihre makroskopischen Formen. Die zu Grunde liegende Theorie fehlt jedoch.
Noch! Denn sicherlich werden die Ergebnisse das Interesse vieler Theoretiker wecken. Abgesehen von der wissenschaftlichen Neugierde wird sie auch die Relevanz dieses Effektes für die Nanotechnologie reizen. Darin spielt das Element Silicium eine entscheidende Rolle, und es würde den Entwicklern bestimmt gefallen, wenn ihre filigranen Kunstwerke härter im Nehmen wären, als sie bislang gedacht haben.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 12.9.2000
"Ein heißer Rekord für kleine Röhrchen " - Spektrum Ticker vom 11.7.2000
"Nanoketten auf Silizium-Kristallen"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Brennpunkt-Thema vom 7.8.2000
"Nano ist das Größte" - Spektrum der Wissenschaft 8/98, Seite 16
"Kohlenstoff-Cannelloni – die kommenden Chips?"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.