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Gute Frage: Machen Antidepressiva gute Laune?

Antidepressiva sollen die Stimmung heben. Seltsamerweise werden sie aber nicht als Glückspillen auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Wieso eigentlich?
Pillen auf türkisem Hintergrund so angeordnet, dass sie ein lächelndes Gesicht ergeben
Glück auf Rezept

Die Partydroge Ecstasy kann starke Euphorie auslösen, dank der psychoaktiven Substanz Methylendioxymethylamphetamin, kurz MDMA: Diese sorgt dafür, dass das Gehirn förmlich mit dem Neurotransmitter Serotonin überschwemmt wird. Wenn Drogen Glücksgefühle auslösen, tun das dann auf mildere Weise auch Antidepressiva?

Denn sie setzen ebenfalls an Serotonin an. Die meisten Antidepressiva hemmen eine Art Pumpe, die den Botenstoff normalerweise nach seiner Freisetzung aus dem synaptischen Spalt entfernt. So kann das Serotonin seine Wirkung länger entfalten. Zwar ist unumstritten, dass der Neurotransmitter die Laune wesentlich beeinflussen kann, doch die Formel »viel Serotonin gleich Hochstimmung« wäre zu einfach. Vielmehr ist der Zusammenhang zwischen Serotoninspiegel und Gemütslage komplex. Aus Experimenten an Ratten ist zum Beispiel bekannt, dass der Serotoninspiegel auch dann steigt, wenn die Nager einem akuten Stressor ausgesetzt sind wie unangenehmen Elektroschocks, denen sie nicht ausweichen können. Glücksgefühle erleben sie dabei wohl kaum. Wird der Stress chronisch, etwa weil die Tiere längere Zeit sozial isoliert sind, nimmt die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt wieder ab und ist oft sogar niedriger als zuvor.

In manchen Situationen, zum Beispiel bei Alkoholabhängigen während des Entzugs, trägt ein derart verminderter Serotonin-Umsatz offenbar zu Ängstlichkeit und Niedergeschlagenheit bei. Auch deshalb suchte man lange nach Veränderungen im serotonergen System von Menschen mit Depressionen – selten jedoch mit Erfolg. Obwohl fast alle Antidepressiva darauf abzielen, die Effekte von Serotonin zu verstärken, konnte nie überzeugend nachgewiesen werden, dass bei depressiven Menschen ursächlich ein Serotoninmangel vorliegt. Vermutlich wirken die Medikamente auf komplexeren Wegen, die wir bislang noch nicht vollständig durchschauen.

Oft kaum besser als ein Placebo

Der Name »Antidepressiva« klingt so, als schützten diese genauso zuverlässig vor trüber Stimmung wie die Antibabypille vor einer Schwangerschaft. Allerdings wirken Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei depressiven Menschen eher unspezifisch angstlösend und ausgleichend auf die Stimmung, beseitigen aber nicht gezielt die Ursache der Krankheit. Die Depression bleibt häufig in abgeschwächter Form bestehen.

Insbesondere bei leichten Fällen wirken Antidepressiva unterm Strich kaum besser als ein Placebo: Allein die Einnahme einer Tablette macht bereits Hoffnung auf Besserung, was Selbstheilungskräfte aktivieren kann. Nur bei schweren Depressionen sind die Medikamente einer Scheinbehandlung eindeutig überlegen und – in Verbindung mit einer Psychotherapie – zu empfehlen.

In einer Metaanalyse von 2018 kam ein Team um den Psychiater Andrea Cipriani von der University of Oxford zu dem Schluss, dass alle 21 Antidepressiva, die man in 522 kontrollierten Studien untersucht hatte, besser wirken als ein Placebo. Allerdings betrug die ermittelte Effektstärke für alle Antidepressiva zusammengenommen 0,3 – und war damit gering. Das Ergebnis deckt sich mit den Erfahrungen vieler Psychiaterinnen und Psychiater: Antidepressiva können helfen, aber nicht allen Menschen, oft nicht besonders gut und meist erst nach einigen Wochen.

Bei Gesunden nutzlos

Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass Antidepressiva nicht als Glückspillen auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Zwar gibt es vereinzelt anekdotische Berichte von Effekten bei Gesunden. Doch diese treten nur gelegentlich auf. Antidepressiva sind Medikamente, die man zur Behandlung schwerer Depressionen einsetzt. Ist man nicht krank, können sie auch keine Wirkung entfalten. Wenn die Medikamente schon bei leichten Depressionen keine klinisch bedeutsamen Effekte zeigen, dann ist es noch unwahrscheinlicher, dass sie psychisch Gesunden zu besserer Laune verhelfen. Stattdessen handelt man sich womöglich unerwünschte Begleiterscheinungen ein: Übelkeit und Appetitlosigkeit, innere Unruhe und Schlafstörungen, reduziertes sexuelles Interesse und Orgasmus- oder Erektionsschwierigkeiten. Wer wirklich etwas für seine Stimmung tun will, sollte Sport treiben und in die Natur gehen, denn Sonnenlicht und Grün können tatsächlich glücklich machen – völlig nebenwirkungsfrei.

  • Quellen

Cipriani, A. et al.: Comparative efficacy and acceptability of 21 antidepressant drugs for the acute treatment of adults with major depressive disorder: A systematic review and network meta-analysis. The Lancet 391, 2018

Heinz, A: A new understanding of mental disorders. MIT Press, 2017

Knorr, U. B.: The effect of selective serotonin reuptake inhibitors in healthy first-degree relatives of patients with major depressive disorder. An experimental medicine blinded controlled trial. Danish Medical Journal 59, 2012

Knorr, U., Kessing, L.V.: The effect of selective serotonin reuptake inhibitors in healthy subjects. A systematic review. Nordic Journal of Psychiatry 64, 2010

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