Kolumnen: Bericht für eine Akademie
(aus dem stenogrammatischen Protokoll der Referate anläßlich der 37.478sten Sitzung der Gesellschaft für extra-orionische Intelligenzen auf dem Planeten Beteigeuze Zeta, in der vierzigsten Oszillation des 923sten kosmischen Metazyklus)
Oberste Popanzen, Magnifizenzen und Spektabilitäten, Monstranzen und Monstrositäten,
vor nur wenigen Mikrozyklen sind wir von der mühevollen Expedition zurückgekehrt, die wir im Auftrag der ehrenwerten Akademie zum dritten Planeten im System Sol unternommen haben, um die Urheber der von dort kommenden Signale einer möglicherweise intelligenten Seinsform näher zu untersuchen. Um das Ergebnis unserer Reise vorwegzunehmen: Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Zwar stießen wir auf Spuren des Lebens und der Intelligenz, jedoch stellen sie auf eine unabsehbare Anzahl von Metazyklen keine wirkliche Herausforderung für das Primat der orionischen Ontologie dar.
Der besagte dritte, blaue Planet des Sternes Sol wird in der Tat von einigen relativ intelligenten Wesen besiedelt, als da wären Pantoffeltiere, Schachtelhalme, Dachpappen und Regenrinnen, deren Verzicht auf jede Art von kognitiver Aktivität sich langfristig als eine Alternative zur orionischen Strategie der Meta-Rationalität erweisen könnte. Die momentan vorherrschende Lebensform jedoch, die sich selber »Mensch« nennt, gibt zur Sorge kaum Anlass.
Die Menschen betrachten eines ihrer Organe, das sie als »Gehirn« bezeichnen, als den Produzenten ihrer Intelligenz. Das Wort »Gehirn« hat einen starken Anklang an das Wort »Gehörn«, was allerdings die Hörner eines Ochsen meint. Das hat uns anfangs stark irritiert. Es gelang uns jedoch, uns in den Besitz einer ganzen Reihe der Gehörne – pardon: Gehirne – verschiedener Menschen zu bringen. Zudem fanden wir Zugang zu Datenbanken, in denen eine ungeheuer große Zahl von Text- und Bilddokumenten zu eben jenen Gehirnen abgelegt und größtenteils vergessen wurde. Diese Daten nannten sich »Publikationen«, was für unser Verständnis »Mitteilungen an eine breite Öffentlichkeit« bedeutet. Jedoch wurde – die Zitationslisten beweisen es – der weitaus größere Teil dieser »Publikationen« vermutlich von niemandem außer den Verfassern selbst – also beim Schreiben – gelesen. Der Inhalt vieler dieser »Publikationen« lässt aber selbst diese Vermutung kühn erscheinen.
Im Allgemeinen laufen diese »Publikationen«, sofern sie sich mit dem Gehirn beschäftigen, auf einen überaus possierlichen Materialismus hinaus, denn das, was dort als die einzig wahre, wissenschaftliche Methode angesehen wird, ist die objektivierende, reduktionistische Analyse entlang dem Satz vom hinreichenden Grund, nulla est sine ratione. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich dieses Denken immer wieder in weglosen Dickichten verirrt. Die wahre, tiefe Einsicht – wiederum Dank über Dank Euch allerehrwürdigsten Popanzen! – dass die Welt kein Grund, sondern ein Abgrund ist, das totum est sine ratione also, das ja auch das Motto dieser ehrwürdigen Akademie ist, diese Einsicht ist diesen Sklaven der Ratio gänzlich fremd. Mit erstaunlicher Sturheit wird auch am Prinzip vom tertium non datur und an der identitas indiscernibilium festgehalten. Tertium non datur: So nennen sie die vermeintliche Einsicht, dass man nicht ja und nein zugleich sagen könne, identitas indiscernibilium, so nennen sie den Trugschluss, dass das Ununterscheidbare eines sei. Alles also sehr krude Formen des Denkens, die im Allgemeinen in einer bivalenten Logik und Ethik (also: »ja/nein«; »eines/viele«; »gut/schlecht«) münden. Nirgendwo fanden wir Spuren der Logik des fluiden Nonsinns und der approximativen Akkuratesse, auf deren soliden Fundamenten, die von unseren überaus ehrenwerten Popanzen gelegt wurden, bekanntlich das orionische Denken ruht.
Die Menschen sind dioikische Wesen, kommen also in nur zwei Geschlechtern vor, die sich zudem in verschiedenen Individuen manifestieren. Zwar gibt es auf diesem Planeten auch sexuell fortschrittlichere Wesen, Weinbergschnecken zum Beispiel, die zum regelmäßigen Wechsel des Geschlechtes in der Lage sind, den Menschen jedoch geht diese Fähigkeit ab. Wir vermuten, dass es diese dioikische-bivalente Verfassung der Sexualität ist, die den Menschen ihr ebenso bivalentes Denken diktiert. Die beiden Geschlechter, die sie »Männer« und »Frauen« nennen, unterscheiden sich körperlich nur in einigen lächerlichen Details, die größtenteils dem Zwang der Reproduktion der Körper, dem sich die Menschen noch unterworfen fühlen, geschuldet sind. Sie sind nämlich sterblich, diese Menschen, was sie allerdings als ein arges Manko und als einen Makel ihrer Existenz ansehen.
Es ist uns, wie gesagt, gelungen, uns in den Besitz einer recht großen Zahl dieser Gehirne zu bringen und sie näher zu untersuchen. Gemäß den Vorgaben der intergalaktischen Ethikkommission und des Artenschutzabkommens vom Aldebaran haben wir Wert darauf gelegt, den Probanden, denen die Hirne entnommen wurden, angemessenen Ersatz zu schaffen. Die besten Ergebnisse haben wir mit der preiswerten Holzwolle der Handelsklasse 4 vom Planten Lignocephalon erzielt, höherwertige Holzwollen führten zu unerwünschten Ergebnissen, wie etwa Nobelpreisverleihungen und Theorien der allgemeinen Relativität.
Wir haben diese Gehirne mit verschiedenen anerkannten Methoden – vor allem mit der Methodik der paralogischen Penetranzperfusion und der eidogenetischen In-/Extrospektion – funktionell untersucht. Die Menschen neigen dazu, einen bestimmten Abschnitt ihres Gehirns, den Cortex nämlich, als den eigentlichen Träger ihrer kognitiven Leistungen anzusehen, und ihre Forscher überbieten sich darin, bunte Bildchen dieses Cortex als Äquivalente des Denkvorganges auszugeben. Natürlich sind die Methoden, mit denen sie diese Bilder erzeugen (sie nennen sie »funktionelle Bildgebung«) den unsrigen weit unterlegen. In der Tat offenbarten unsere eidogenetischen Analysen, dass – unabhängig von der jeweiligen kognitiven Aufgabe und über eine große Anzahl von Individuen hinweg – die Summation der corticalen Aktivitäten stets das folgende Bild ergab:
In einer ihrer Datenbanken fanden wir einen Satz, der diese Einsicht in ihren eigenen Worten paraphrasiert: »Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.« (Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur)
Vor diesem Hintergrund würden wir dazu raten, von weiteren Expeditionen zu diesem Planeten abzusehen und die Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen: Es könnte ansteckend sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Oberste Popanzen, Magnifizenzen und Spektabilitäten, Monstranzen und Monstrositäten,
vor nur wenigen Mikrozyklen sind wir von der mühevollen Expedition zurückgekehrt, die wir im Auftrag der ehrenwerten Akademie zum dritten Planeten im System Sol unternommen haben, um die Urheber der von dort kommenden Signale einer möglicherweise intelligenten Seinsform näher zu untersuchen. Um das Ergebnis unserer Reise vorwegzunehmen: Es gibt keinen Grund zur Besorgnis. Zwar stießen wir auf Spuren des Lebens und der Intelligenz, jedoch stellen sie auf eine unabsehbare Anzahl von Metazyklen keine wirkliche Herausforderung für das Primat der orionischen Ontologie dar.
Der besagte dritte, blaue Planet des Sternes Sol wird in der Tat von einigen relativ intelligenten Wesen besiedelt, als da wären Pantoffeltiere, Schachtelhalme, Dachpappen und Regenrinnen, deren Verzicht auf jede Art von kognitiver Aktivität sich langfristig als eine Alternative zur orionischen Strategie der Meta-Rationalität erweisen könnte. Die momentan vorherrschende Lebensform jedoch, die sich selber »Mensch« nennt, gibt zur Sorge kaum Anlass.
Die Menschen betrachten eines ihrer Organe, das sie als »Gehirn« bezeichnen, als den Produzenten ihrer Intelligenz. Das Wort »Gehirn« hat einen starken Anklang an das Wort »Gehörn«, was allerdings die Hörner eines Ochsen meint. Das hat uns anfangs stark irritiert. Es gelang uns jedoch, uns in den Besitz einer ganzen Reihe der Gehörne – pardon: Gehirne – verschiedener Menschen zu bringen. Zudem fanden wir Zugang zu Datenbanken, in denen eine ungeheuer große Zahl von Text- und Bilddokumenten zu eben jenen Gehirnen abgelegt und größtenteils vergessen wurde. Diese Daten nannten sich »Publikationen«, was für unser Verständnis »Mitteilungen an eine breite Öffentlichkeit« bedeutet. Jedoch wurde – die Zitationslisten beweisen es – der weitaus größere Teil dieser »Publikationen« vermutlich von niemandem außer den Verfassern selbst – also beim Schreiben – gelesen. Der Inhalt vieler dieser »Publikationen« lässt aber selbst diese Vermutung kühn erscheinen.
Im Allgemeinen laufen diese »Publikationen«, sofern sie sich mit dem Gehirn beschäftigen, auf einen überaus possierlichen Materialismus hinaus, denn das, was dort als die einzig wahre, wissenschaftliche Methode angesehen wird, ist die objektivierende, reduktionistische Analyse entlang dem Satz vom hinreichenden Grund, nulla est sine ratione. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich dieses Denken immer wieder in weglosen Dickichten verirrt. Die wahre, tiefe Einsicht – wiederum Dank über Dank Euch allerehrwürdigsten Popanzen! – dass die Welt kein Grund, sondern ein Abgrund ist, das totum est sine ratione also, das ja auch das Motto dieser ehrwürdigen Akademie ist, diese Einsicht ist diesen Sklaven der Ratio gänzlich fremd. Mit erstaunlicher Sturheit wird auch am Prinzip vom tertium non datur und an der identitas indiscernibilium festgehalten. Tertium non datur: So nennen sie die vermeintliche Einsicht, dass man nicht ja und nein zugleich sagen könne, identitas indiscernibilium, so nennen sie den Trugschluss, dass das Ununterscheidbare eines sei. Alles also sehr krude Formen des Denkens, die im Allgemeinen in einer bivalenten Logik und Ethik (also: »ja/nein«; »eines/viele«; »gut/schlecht«) münden. Nirgendwo fanden wir Spuren der Logik des fluiden Nonsinns und der approximativen Akkuratesse, auf deren soliden Fundamenten, die von unseren überaus ehrenwerten Popanzen gelegt wurden, bekanntlich das orionische Denken ruht.
Die Menschen sind dioikische Wesen, kommen also in nur zwei Geschlechtern vor, die sich zudem in verschiedenen Individuen manifestieren. Zwar gibt es auf diesem Planeten auch sexuell fortschrittlichere Wesen, Weinbergschnecken zum Beispiel, die zum regelmäßigen Wechsel des Geschlechtes in der Lage sind, den Menschen jedoch geht diese Fähigkeit ab. Wir vermuten, dass es diese dioikische-bivalente Verfassung der Sexualität ist, die den Menschen ihr ebenso bivalentes Denken diktiert. Die beiden Geschlechter, die sie »Männer« und »Frauen« nennen, unterscheiden sich körperlich nur in einigen lächerlichen Details, die größtenteils dem Zwang der Reproduktion der Körper, dem sich die Menschen noch unterworfen fühlen, geschuldet sind. Sie sind nämlich sterblich, diese Menschen, was sie allerdings als ein arges Manko und als einen Makel ihrer Existenz ansehen.
Es ist uns, wie gesagt, gelungen, uns in den Besitz einer recht großen Zahl dieser Gehirne zu bringen und sie näher zu untersuchen. Gemäß den Vorgaben der intergalaktischen Ethikkommission und des Artenschutzabkommens vom Aldebaran haben wir Wert darauf gelegt, den Probanden, denen die Hirne entnommen wurden, angemessenen Ersatz zu schaffen. Die besten Ergebnisse haben wir mit der preiswerten Holzwolle der Handelsklasse 4 vom Planten Lignocephalon erzielt, höherwertige Holzwollen führten zu unerwünschten Ergebnissen, wie etwa Nobelpreisverleihungen und Theorien der allgemeinen Relativität.
Wir haben diese Gehirne mit verschiedenen anerkannten Methoden – vor allem mit der Methodik der paralogischen Penetranzperfusion und der eidogenetischen In-/Extrospektion – funktionell untersucht. Die Menschen neigen dazu, einen bestimmten Abschnitt ihres Gehirns, den Cortex nämlich, als den eigentlichen Träger ihrer kognitiven Leistungen anzusehen, und ihre Forscher überbieten sich darin, bunte Bildchen dieses Cortex als Äquivalente des Denkvorganges auszugeben. Natürlich sind die Methoden, mit denen sie diese Bilder erzeugen (sie nennen sie »funktionelle Bildgebung«) den unsrigen weit unterlegen. In der Tat offenbarten unsere eidogenetischen Analysen, dass – unabhängig von der jeweiligen kognitiven Aufgabe und über eine große Anzahl von Individuen hinweg – die Summation der corticalen Aktivitäten stets das folgende Bild ergab:
Die semiotische Kontextanalyse ergab, dass das Zeichen, das sich als Summe sämtlicher Einzeldenkakte, die der Menschheit möglich sind, manifestiert, eine grundlegende Unsicherheit des Gedachten repräsentiert. Das Denken der Menschen ist, mit anderen Worten, im Kern weniger affirmativ als vielmehr fragwürdig, was diesen Wesen, die sich nach nichts mehr als Sicherheit und Ewigkeit sehnen und die dennoch Langeweile und Stillstand verabscheuen, was diesen Wesen, die die Vergänglichkeit fürchten und doch den Fortschritt wollen, was diesen Wesen ein Quell stetigen Verdrusses ist.
In einer ihrer Datenbanken fanden wir einen Satz, der diese Einsicht in ihren eigenen Worten paraphrasiert: »Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht vorgesehen.« (Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur)
Vor diesem Hintergrund würden wir dazu raten, von weiteren Expeditionen zu diesem Planeten abzusehen und die Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen: Es könnte ansteckend sein.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Helmut Wicht ist promovierter Biologe und Privatdozent für Anatomie an der Dr. Senckenbergischen Anatomie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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