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Warkus’ Welt: Das schwierige Problem der Zugehörigkeit

Der Islam gehört zu Deutschland – oder nicht? Unser Kolumnist Matthias Warkus erklärt, warum es philosophisch betrachtet sinnlos ist, solche Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Fliesen in der Isfahan-Moschee

2006 erklärte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble: »Der Islam ist Teil Deutschlands.« In seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit pflichtete ihm 2010 schließlich auch Bundespräsident Christian Wulff bei – und brach mit dem Worten »Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland« eine emotionale Debatte über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage vom Zaun. Auch heute, rund siebeneinhalb Jahre später, ist die Diskussion noch nicht beendet, wie jüngst etwa Horst Seehofers Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime aber selbstverständlich schon, im Interview mit der »Bild«-Zeitung illustrierte.

Was kann die Philosophie dazu sagen? Ihre typische Reaktion auf solche Sätze ist weniger: Stimmt das? Sondern eher: Was soll damit eigentlich gemeint sein?

Gottlob Frege (1848–1925) ist vermutlich der wichtigste, nicht weit bekannte Philosoph überhaupt – es gibt kaum jemanden, der größeren Einfluss auf die Entwicklung des Fachs ab etwa 1900 hatte. Mit ihm verbindet man heute unter anderem das »fregesche Prinzip« oder »Kompositionalitätsprinzip«: dass komplexe Ausdrücke wie Behauptungen ihre Bedeutung der Bedeutung und Zusammensetzung ihrer Teile verdanken. (Frege hat »sein« Prinzip allerdings ebenso wenig erfunden oder formuliert wie Pythagoras damals »seinen« Satz.)

Akzeptieren wir dieses Prinzip, müssen wir den Satz »Der Islam gehört zu Deutschland« analysieren und die Bedeutung seiner Teile untersuchen. Die Analyse ist unkompliziert: Es gibt drei Teile – »der Islam«, »Deutschland« und die Relation »gehört zu«, in der beide stehen. Die Struktur könnte man zum Beispiel als »g(I,D)« oder »IgD« aufschreiben.

Schwer zu bestimmen

Nun sind alle Teile der Behauptung Ausdrücke, die zwar gängig, aber auch schwer klar zu bestimmen sind. Am einfachsten ist vielleicht der Ausdruck »Deutschland«, denn damit könnte schlicht die Bundesrepublik gemeint sein. Es könnte aber auch sein, dass Seehofer, Dobrindt, Merkel und andere Politiker, wenn sie sagen, etwas gehöre zu Deutschland oder nicht, nicht den Staat als völkerrechtliches Subjekt mit Territorium, Volk und politischer Ordnung meinen, sondern etwas anderes. Nur was?

Noch schwieriger wird es mit »dem Islam«. Was ist eine Religion? Ein Regelwerk, eine Gemeinschaft von Menschen? Die Bundesrepublik Deutschland – soweit sie durch ihr Staatsoberhaupt repräsentiert ist – hat immerhin eine Adresse (Spreeweg 1, Berlin) und eine Telefonnummer (+49 30 2000-0). Welche Telefonnummer hat der Islam?

Die Bundesrepublik Deutschland hat immerhin eine Adresse und eine Telefonnummer. Welche Telefonnummer hat der Islam?

Auch der Ausdruck »gehört zu« ist vielschichtig. Was bedeutet es, wenn ein Gegenstand zu einem anderen gehört? Es gibt im Prinzip zwei Fälle, in denen dies eindeutig ist: wenn einer der Gegenstände Teil des anderen ist oder wenn beide Gegenstände Teile eines dritten Gegenstandes sind. Dabei gibt es zwei Arten, auf die ein Gegenstand Teil eines anderen sein kann – nämlich als Produkt einer Zerlegung (Scherben sind Teil einer Kaffeekanne, ein Rinderfilet Teil eines Rindes) oder als Komponente, als Grundlage einer Zusammensetzung (so sind Kolben und Ventile Komponenten eines Verbrennungsmotors – und das Rinderfilet Komponente eines reichhaltigen Abendessens). Dabei sind diese Beziehungen nicht immer gleichgerichtet und umkehrbar – aus einem zerlegten Rind kann man kein lebendes Tier mehr bauen. Aber die Zugehörigkeiten sind klar: Zwei Ventile, die in einen Motor verbaut werden, gehören zusammen, genauso wie Filets vom selben Rind oder zwei Spieler einer Mannschaft.

Dass »der Islam« zu »Deutschland« gehört, könnte also heißen, dass das eine (Zerlegungsteil oder Komponente) Teil des anderen ist oder beides Teil eines größeren Gegenstandes. Jeder Versuch, zu entscheiden, ob dies zutrifft, führt aber dazu, strittige Annahmen über die beiden Gegenstände zu machen. Behauptet man zum Beispiel, der Islam gehöre zu Deutschland, weil Deutschland aus Gemeinschaften aufgebaut sei, zu denen auch der Islam gehöre, dann behauptet man damit unter anderem, der Islam sei eine einheitliche Gemeinschaft und Deutschland bestehe aus religiösen Gemeinschaften. Behauptet man hingegen, »der Islam« gehöre nicht zu Deutschland, weil Deutschland »historisch christlich geprägt sei«, dann behauptet man, jedes Zerlegungsprodukt von Deutschland, dem die »historische christliche Prägung« nicht irgendwie anzumerken sei, gehöre nicht zu Deutschland. Nun ist aber zum Beispiel ein Studium des Maschinenbaus hier zu Lande vermutlich frei von jeder erkennbaren christlichen Prägung. Aber heißt das, dass die Maschinenbaufakultät der TU Chemnitz nicht zu Deutschland gehört?

Mein Fazit: Über Zugehörigkeiten bei Gegenständen zu reden, über deren Zusammensetzung keine Einigkeit besteht, ja die vielleicht sogar überhaupt nicht sinnvoll als zusammengesetzt beschrieben werden können, ist sinnlos. Ein Satz wie »Der Islam gehört (nicht) zu Deutschland« ist als Behauptung sinnlos. Er hat seinen Sinn, wenn überhaupt, nicht als Behauptung, sondern als Aufforderung oder vielleicht bloß als Gefühlsäußerung. Wir sollten die Absichten diskutieren, die mit ihm unterlegt werden. Ihn auf Wahrheit zu prüfen, ist Zeitverschwendung.

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